Medizin in der täglichen Nahrung

Medizin taeglichen Nahrung
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Ein CD-Labor in Wien untersucht die Wirksamkeit von Pflanzenextrakten im Labor: Kürbis wirkt gegen Prostatavergrößerung und Inkontinenz, Sauerkraut und Rotklee gegen Krebsformen und viele Kräuter gegen Entzündungen.

Superwirksames Sauerkraut! Altersbremse Grantapfel! Meerrettich bekämpft Bakterien! Solche Schlagzeilen umschwirren uns täglich – diese Zitate stammen zum Beispiel von Hademar Bankhofers Homepage. Doch vor lauter Schlagzeilen sieht man die Wahrheit oft nicht mehr. Daher hat sich ein Christian-Doppler-Labor an der Universität für Bodenkultur auf die wissenschaftliche Ergründung der Wirksamkeit von essbaren Pflanzen spezialisiert.

Der Biotechnologe Alois Jungbauer leitet das Labor, das mit der Grazer Pharmafirma Apomedica zusammenarbeitet: „Es ist ja bekannt, dass wir über Pflanzen, die wir essen, minimale Dosen an pharmakologisch wirksamen Substanzen aufnehmen. Früher war das den Menschen nicht so bewusst – mit Ausnahme der Vitamine.“ Denn bei Vitaminen treten Mangelerscheinungen auf, sobald diese in der Ernährung fehlen. Doch Pflanzen enthalten jeweils hunderte andere Substanzen, manche von ihnen können im Körper aktiv wirksam werden: Fehlen diese Substanzen, treten zwar nicht augenscheinliche Mangelerscheinungen auf. „Aber langfristig tragen solche Substanzen zur Vorbeugung von chronischen und von degenerativen Erkrankungen bei“, erklärt Jungbauer.

Daher boomt das Feld der Nahrungsergänzungsmittel aus Pflanzenextrakten auch seit vielen Jahren: Maracuja gegen Prüfungsangst, Ginseng gegen Kater, Käsepappeltee gegen Magenschmerzen...

Diese Liste lässt sich lange fortsetzen und füllt zahlreiche Bücher und Internetseiten. „Man weiß, dass Menschen, die sich viel von Pflanzen ernähren, gesünder sind. Klar spielen da Faktoren wie Übergewicht mit, das bei pflanzlicher Nahrung weniger stark auftritt. Das müsste man epidemiologisch auseinanderdividieren. Doch unser Labor versucht auf rein wissenschaftlicher Basis herauszufinden, welche Substanzen in essbaren Pflanzen im Körper wirken – und vor allem: Wie wirken sie?“, sagt Jungbauer.


Hunderte Substanzen. Dazu werden z.B. Kräuter, Kürbisse oder Sauerkraut extrahiert und im Laborschälchen an Gewebezellen getestet, ob das Pflanzenextrakt eine Wirkung zeigt. Wenn die Wirksamkeit (z.B. schnelleres oder langsameres Zellwachstum, höhere Immunantwort, niedrigere Entzündungswerte) stark ist, wird das Extrakt über Verfahren wie Hochleistungsflüssig-Chromatografie (HPLC), Massenspektrometrie oder Kernresonanzspektroskopie aufgeschlüsselt und identifiziert, welche Substanzen darin vorkommen. Im Gegensatz zu synthetisch erzeugten Medikamenten mit einem bzw. wenigen Wirkstoffen enthalten solche natürlichen Extrakte Mischungen vieler hundert Substanzen.

Dann wird getestet, welche dieser Substanzen auf welche Moleküle bzw. Rezeptoren der Zellen wirken. „Wir haben bisher etwa 300 Pflanzen untersucht“, sagt Jungbauer. „Ein großer Erfolg war die Entdeckung eines Wirkmechanismus des Kürbisextrakts.“ Ärzte und andere Wissenschaftler haben die Wirkung von Kürbis-Dragees zwar oft belächelt, doch das CD-Labor in der Wiener Muthgasse zeigte, dass der Kürbisextrakt tatsächlich vorbeugend gegen Prostatavergrößerung helfen kann. „Wir kennen nun den biochemischen Mechanismus und wissen, wo welche Substanzen in den Prostatazellen wirken: Wir waren begeistert, als wir gesehen haben, dass die Prostatazellen im Labor signifikant langsamer wachsen, wenn man Kürbisextrakt hinzugibt.“

Der Industriepartner Apomedica wird dies nun weiterverfolgen, immerhin leidet ein Drittel aller Männer über 50 Jahre unter behandlungsbedürftigen Beschwerden durch eine gutartige Vergrößerung der Prostata. „Auch bei Frauen wirken die Substanzen des Kürbis gegen Inkontinenz“, sagt Jungbauer. „Auch hier sind wir sehr zuversichtlich, den Wirkungsmechanismus aufzuklären.“

Ein anderes Projekt konzentrierte sich auf die Pflanzeninhaltsstoffe Isoflavone: In Pflanzen dienen diese Farbstoffe oft als Abwehr gegen Pathogene. Das Wiener Team konnte nun zeigen, dass Isoflavone (die beispielsweise in Rotklee und Soja enthalten sind) auf Makrophagen (Fresszellen unseres Immunsystems) wirken und somit eine entzündungshemmende Wirkung haben. „Das ist vor allem für Patienten mit dem metabolischen Syndrom interessant: Sie leiden an Übergewicht, Bluthochdruck, oft an Diabetes. All diese Krankheiten gehen mit einer chronischen Entzündung einher. Daher sind Isoflavone gut zur Vorbeugung.“


Fast schon Arzneimittel.
Auch Kräuter und Gewürze wirken oft entzündungshemmend. Salbei und Thymian sind die bekanntesten: „Sie fallen eigentlich in eine Grauzone zwischen Lebensmittel und Arzneimittel“, so Jungbauer. Getestet wurde die ganze Palette aus dem Gewürzregal, und zwar wie sie die Wirkung auf entzündungshemmende Zytokine (Botenstoffe) verstärken oder entzündungsfördernde Zytokine abschwächen.

Am auffälligsten war der Inhaltsstoff von Chilischoten, Capsaicin. „Es wirkt genauso gut wie Kortison“, sagt Jungbauer. Sein Tipp für einen besonders entzündungshemmenden Gewürzmix ist: Chili, Kümmel, Kreuzkümmel, Koriander und schwarzer Pfeffer.

Aber zurück zu Isoflavonen: Ihnen wird auch eine vorbeugende Wirkung gegen hormonabhängige Krebsformen nachgesagt, da sie eine schwache Geschlechtshormon-Wirkung auf den Menschen haben. Jungbauer und sein Team konnten eine solche Wirkung belegen: Und zwar docken die Moleküle an den Arylhydrocarbon-Rezeptor (AhR) an, der physiologische Prozesse wie Zellzyklus und Reproduktion reguliert und sowohl im Gehirn, der Brust und dem Uterus als auch in Lunge und Herz im Menschen vorkommt.


Neu entdeckt. Im Sauerkrautsaft wurde zudem eine gänzlich neue Substanz entdeckt, die auch diese Wirkung hat, ebenfalls über AhR: Indolylfuran nennt sich das Molekül, das eine antiöstrogene Wirkung zeigt und somit hormonell bedingte Brustkrebsformen vorbeugen könnte. „Die antikanzerogene Wirkung der Kohlgewächse ist zwar schon lange ein Thema. Aber trotzdem werden Kraut, Sauerkraut und Kohl in unserer Ernährung immer mehr vernachlässigt“, bedauert Jungbauer.

Essbare Pflanzen

Das Christian-Doppler-Labor für Rezeptor-Biotechnologie IIhat seinen Sitz an der Universität für Bodenkultur in der Muthgasse und wird seit 2010 von Alois Jungbauer geleitet. Bis Ende 2012 sucht man hier noch nach Substanzen, die in essbaren Pflanzen eine pharmazeutische Wirkung auf den Menschen haben. Industriepartner ist Apomedica aus Graz,
das Unternehmen wird mit den gefundenen aktiven Substanzen in klinische Studien gehen.

Derzeit gibt es 65 Christian-Doppler-Labors, in denen Universitäten sieben Jahre eng mit Unternehmen kooperieren. Gefördert werden sie vom Wirtschaftsministerium.

Konflikt

Die Hersteller von Lebensmitteln wollen mit gesundheitsbezogenen Angaben werben, das wird aber nur in den seltensten Fällen genehmigt: Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) lässt das nur dann zu, wenn es eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung gibt. So wurde zuletzt die Anpreisung einer positiven Wirkung von Olivenöl auf den Cholesterinspiegel oder von Kürbiskernöl auf das Haarwachstum nicht bestätigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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