"Für Juden in Wien gehört es zum Alltag, beschimpft zu werden"

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Der Wiener Rabbiner, den ein Fußballfan vor den Augen der untätigen Polizei als „Scheiß-Jude“ bezeichnet hat, beklagt, mehrmals pro Monat angepöbelt zu werden, zunehmend von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Wien. „Für Juden in Wien gehört es zum Alltag, auf offener Straße beschimpft zu werden.“ Das beklagt der Wiener Rabbiner, den vergangenen Donnerstag ein Fußballfan mitten auf dem Schwedenplatz vor den Augen der untätigen Polizei als „Scheiß-Jude“ bezeichnet und dabei noch den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben hat.

„Ich werde in Wien mehrmals pro Monat angepöbelt. Man sagt „Sau-Jud“ zu mir, „Jude raus“, „Haben dich die Nazis vergessen?“, oder auch: „Unterm Schwedenplatz geht es zum Zug nach Auschwitz“, berichtet der Rabbiner im Gespräch mit der „Presse“.

Das Phänomen der Judenfeindlichkeit ziehe sich in Wien quer durch alle Altersschichten. Meistens würden Männer ausfällig. Besonders zugenommen habe der aggressive offene Antisemitismus zuletzt jedoch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Er ignoriere die Beleidigungen zumeist und gehe einfach weiter, erklärt der Rabbiner. „Was soll ich tun? Diese Leute werden ja sonst noch handgreiflich. Und bis ich einen Polizisten herbeigerufen habe, sind sie schon weg.“

Umso erschütterter ist er, dass am vergangenen Donnerstag die Polizei nicht eingeschritten ist, nachdem er von dem Fußball-Rowdy wüst beflegelt worden war. Die Beamten seien zu diesem Moment deutlich in der Überzahl gewesen und hätten auch keine Eskalation befürchten müssen.

„Regen Sie sich nicht auf“

Insgesamt drei verschiedene rund um den Wiener Schwedenplatz postierte Gruppen von Polizisten habe er um Hilfe gebeten. Zu einem Zeitpunkt, als es noch genügend Zeugen des Vorfalls gegeben habe. Doch niemand habe einen Finger gerührt. Die einen Polizeibeamten hätten gegrinst, die anderen ihn unfreundlich mit folgenden Worten verscheucht: „Regen Sie sich nicht so auf! Gehen's weiter!“

Die Identität des Fußballfans, der den Rabbiner verunglimpft hat, ist ungeklärt. „Er trug ein schwarzes T-Shirt mit weißer Aufschrift. Das legt nahe, dass er ein Anhänger des griechischen Fußballvereins Paok Saloniki war.“ Der Mann habe jedoch offenbar längere Zeit in Deutschland gelebt. „Sein Bundesdeutsch war akzentfrei“, erinnert sich der Rabbiner.

Mittlerweile nehme das Innenministerium den Fall ernst. Dieses Gefühl habe ihm jedenfalls der Verfassungsschutz in einem Gespräch vermittelt, sagt der Rabbiner. Er erwarte sich eine größere Sensibilisierung für das Thema Antisemitismus bei den Ordnungshütern.

Polizeichef zeigte sich bestürzt

Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl versicherte am Montag dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Oskar Deutsch, in einem Telefonat, den Vorfall auf dem Schwedenplatz aufzuklären und drückte auch seine Bestürzung aus. Die Bagatellisierung antisemitischer Ausfälle sei aufs Schärfste zu verurteilen, erklärte Deutsch. Er sehe eine große Gefahr, wenn sich einzelne Beamte passiv gegenüber antisemitischer Aggression verhielten. Denn das senke die Hemmschwelle.

Ein Fußballfan, vermutlich des griechischen Vereins Paok Saloniki, hat am Donnerstag einen Wiener Rabbiner auf dem Schwedenplatz als „Scheiß-Jude“ beschimpft. Mehrere anwesende Polizisten lehnten es ab einzuschreiten. Manche grinsten. Mittlerweile ist das Beschwerdereferat der Polizei mit dem Fall befasst.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2012)

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