Gute Gründe oder Gefahr für die Frau: Der Streit um die Rate

Die Diskussion um die Kaiserschnittrate ist ein Dauerthema: Sollte sie gesenkt oder als neue Entwicklung akzeptiert werden?

Sie ist seit Jahren Stoff für Kontroversen: die Kaiserschnittrate. Lag sie 2001 noch bei knapp 19 Prozent, liegt sie zehn Jahre später zehn Prozentpunkte höher. Zuletzt war der Anstieg aber nicht mehr so stark. Vor etwa einem Jahr schaltete sich Gesundheitsminister Alois Stöger ein, er setzte eine Arbeitsgruppe ein, die nun darüber brütet, wie es zu weniger Kaiserschnitten kommen kann. Gegen Ende des Jahres ist mit Ergebnissen zu rechnen. Auch eine Studie des Wiener Programms für Frauengesundheit zum Thema Kaiserschnitt, deren Veröffentlichung im Herbst geplant ist, könnte die Diskussion erneut anheizen.


Gefahr für die weibliche Kraft. Zugespitzt sehen die einen im Anstieg der Geburtschirurgie eine Gefahr für die weibliche Kraft zu gebären. Andere argumentieren, dass die Geburtshilfe auf Veränderungen der Gesellschaft reagiert hat: Weniger Kinder pro Frau, ältere Mütter, Schwangerschaften durch Reproduktionsmedizin und hohe Klagsbereitschaft.

Auch in der Arbeitsgruppe wird kontrovers diskutiert. Barbara Maier, leitende Geburtshelferin am Hanuschkrankenhaus Wien, plädiert für eine „nachhaltige Geburtshilfe“: „Der Benefit durch den Kaiserschnitt muss voll ausgeschöpft, die Risken für Mutter und Kind, die sich für Nachfolgeschwangerschaften und -geburten ergeben, können aber beachtet werden“, so Maier. Sie würde eine Kaiserschnittrate von 20 bis 25 Prozent – bei Risikogruppen auch etwas höher – für angemessen erachten.


Gute Gründe dafür. Martin Langer, Geburtsmediziner von der Medizinischen Universität Wien, hält nichts davon, ständig über eine Senkung zu diskutieren. Es gebe „gute Gründe“ für die vielen Kaiserschnitte, verweist er auf gesellschaftliche Veränderungen und niedrige Komplikationsraten. Dennoch räumt er ein, dass er eine 25-Jährige, die sich viele Kinder wünscht, anders in Bezug auf den Geburtsmodus beraten würde als eine 42-Jährige mit erstem Kind nach künstlicher Befruchtung. Er hält es für gefährlich, wenn den Frauen die Autonomie abgesprochen würde. Viele Frauen wünschten eine Sectio. Maier hält dagegen, dass diese Entscheidungsfreiheit auch für Frauen, die eine spontane Geburt wollen, gelten müsse. Viele Geburtshelfer würden aber nicht mehr genug Erfahrung haben, um Frauen eine solche zu ermöglichen – etwa bei Beckenendlage oder Zwillingen. Auch sie würde einer Frau den Wunsch nach einer Sectio nicht abschlagen, aber mit ihr die Gründe dafür klären und die Folgen diskutieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2012)

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