Was Kommunisten und Salafisten gemein haben

Sowohl der islamistische Mob als auch Chinas Japan-Hasser verlangen von ihren Feinden den Kotau. Unterschied: In Peking wird kühl kalkuliert, im Nahen Osten nicht.

Deng Xiaoping war gestern. „Auf Zeit spielen und die eigene Stärke verstecken“, lautete das Motto des langjährigen Lenkers der Volksrepublik. Chinas Rückkehr in die erste Liga der internationalen Politik sollte auf Samtpfoten erfolgen, ohne die Nachbarn zu verschrecken und Gegenwehr zu provozieren. Deng, der nach dem Tod von Mao Tse-tung die Macht in China übernommen hatte, war ein Meister des pragmatischen Understatements: Er wollte den Aufstieg Chinas so lange herunterspielen, bis dieser sich von allein manifestiert und von allen Beteiligten als selbstverständlich – ja sogar unumgänglich – akzeptiert wird. Ein Betriebswirt würde an dieser Stelle von „organischem Wachstum“ sprechen.

Doch organisch ist an den jüngsten chinesischen Muskelspielen nichts mehr. Statt eines sanften Lächelns bietet Peking seinen Nachbarn neuerdings die hasserfüllte Fratze. In den Straßen der chinesischen Metropolen brennen japanische Autos, der „Hi no Maru“, Japans rot-weißes Sonnenwappen, wird mit Füßen getreten, die Botschaft in Peking mit Eiern beworfen. Die Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres, das China in seiner Gesamtheit für sich beansprucht, werden eingeschüchtert und die USA, die im pazifischen Raum seit Jahrzehnten für Ruhe und Ordnung sorgen, als unliebsamer Eindringling verunglimpft. So ziemlich die Einzigen, die in den vergangenen Monaten in Peking keine Watschen kassiert haben, sind die Taiwanesen – aber das ist ein eigenes Kapitel.

Die aktuellen antijapanischen Entgleisungen sind in der Hinsicht ein Paradebeispiel: Der eigentliche Anlass – ein seit Jahren niedertourig geführter Streit um die Senkaku-Inseln, ein gottverlassenes Atoll auf halbem Weg zwischen Taipei und Okinawa – dient wie in den anderen Fällen als Ventil zur Entladung der von den kommunistischen Machthabern eifrig geschürten nationalistischen Emotionen. Wer das Bildmaterial von den Demos gegen Japan betrachtet, kommt nicht umhin, Parallelen zu den Bildern aus dem Nahen Osten zu bemerken. Auch bei den antiamerikanischen Protesten geht es um verletzten Stolz. Und der islamistische Mob fordert ebenso wie die chinesischen Japan-Hasser von ihrem Feind den Kotau. Die einzige Möglichkeit, diesem vermeintlich gerechten Zorn zu entkommen, ist die totale Unterwerfung.

Zwischen den Salafisten und den Kommunisten gibt es allerdings einen entscheidenden Unterschied: Im Nahen Osten meint man es bitterernst, während in Peking in erster Linie kühl kalkuliert wird. Die Proteste gegen Japan werden wohl so lange fortgeführt, solange sie für die Volksrepublik vorteilhaft erscheinen. Und wenn dies nicht mehr der Fall sein sollte, wird die omnipräsente chinesische Exekutive rasch zur Stelle sein, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Das Problem ist nur, dass die Außenwelt die Variablen dieser innerchinesischen Kosten-Nutzen-Rechnung nicht kennt, was die Gefahr einer Fehlkalkulation erhöht. Und es gibt auch keine brauchbare Blaupause, wie mit dem rasanten Aufstieg einer Macht von Chinas Format umzugehen ist. Der letzte annähernd vergleichbare Fall war das wilhelminische Deutsche Reich im Zeitraum 1890 bis 1914 – und wie diese Geschichte ausgegangen ist, braucht an dieser Stelle nicht näher erläutert werden.

Doch zurück nach Peking. Nach jetzigem Wissensstand gibt es zwei mögliche Erklärungen für das Säbelrasseln. Deutung Nummer eins: Die Proteste wurden geschürt, um vom krankheitsbedingten Verschwinden von Xi Jinping abzulenken. Wenn dem so sein sollte, spräche die Tatsache, dass der designierte Nachfolger von Staats- und Parteichef Hu Jintao nach zweiwöchiger Abwesenheit am Wochenende wieder gesichtet wurde, für ein baldiges Ende der Demos.

Es gibt aber auch eine zweite Möglichkeit, die Ereignisse zu deuten: Demnach stecken Revanchisten innerhalb der Volksbefreiungsarmee hinter den Protesten, die die Unordnung im Vorfeld der für den Herbst avisierten politischen Wachablöse dafür nutzen wollen, die Weichen auf Konfrontation mit dem Erbfeind Japan zu stellen. Sollte dieser Erklärungsansatz zutreffend sein, wäre Deng Xiaopings Doktrin endgültig Makulatur.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2012)

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