Demokratiekrise: Das rumänische Beispiel

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Der lähmende Grabenkampf in Bukarest legt offen, wie machtlos die Europäische Union ist, wenn ihre Mitglieder auf rechtsstaatliche Grundregeln pfeifen. Die Drohmittel der Union sind begrenzt.

Brüssel. Zuerst der Präsident, dann sein verhasster Regierungschef: Nach dem Besuch von Traian Basescu bei der Europäischen Kommission am Freitag traf am Montag Rumäniens Ministerpräsident Victor Ponta zum Rapport in Brüssel ein. Erneut blieb Kommissionspräsident José Manuel Barroso mit seinem Gast aus Bukarest hinter verschlossenen Türen, erneut gab es auf Anfrage bloß die hinlänglich bekannte Gebrauchsprosa: „Wir sind sehr interessiert daran, die Entwicklungen in Rumänien zu diskutieren und genau zu verfolgen“, sagte Barrosos Sprecherin. „Diese Treffen erlauben uns, die Situation zu bewerten.“

Zweifelhafte Machttechniken

Die Situation: Sie ist schnell beschrieben. Nach knapp vier Jahren Herrschaft der Konservativen unter Präsident Basescu witterte die Opposition nach einem Misstrauensvotum im Parlament die Chance auf einen fliegenden Wechsel. Die sozialliberale Allianz unter Führung des nunmehrigen Ministerpräsidenten Ponta setzt seither alle Hebel in Bewegung, um vor den Parlamentswahlen am 9.Dezember möglichst viele Stellen der Macht im Land zu besetzen.

Einige davon überspannen den Bogen dessen, was man in demokratischen Rechtsstaaten für akzeptable Machttechniken zu halten pflegt – allen voran die massiven Einschüchterungsversuche der nicht auf Pontas Linie befindlichen Richter am Verfassungsgericht. In Brüssel schlug die Kommission Alarm, setzte Ponta einen elf Punkte umfassenden Katalog an rechtsstaatlichen Wohlverhaltensregeln vor und kündigte zudem an, Ende des Jahres einen Sonderbericht über die Maßnahmen Rumäniens zur Stärkung der Justiz und zur Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens vorzulegen.

Als Folge all dessen ist ein Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum um Lichtjahre in die Ferne gerückt. Und Viviane Reding, die streitbare Justizkommissarin, kündigte am vergangenen Mittwoch die Schaffung einer dauerhaften Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten an.

Doch die Drohmittel der Union sind begrenzt, und ihre Wirkung könnte sich gegen die EU wenden, zumal die international stark kritisierte Regierung unter Ponta bereits am Mythos Rumäniens als Opfer ausländischer Verschwörungen webt.

So wird der für Jahresende angekündigte Bericht der Kommission am selben Mangel leiden wie seine Vorgänger seit 2007: Er ist sanktionslos. Mehr als loben und tadeln kann Brüssel nicht.

Ahnungslose Bürger

Die rumänische Politikwissenschaftlerin Corina Stratulat vom European Policy Centre in Brüssel verweist zwar darauf, dass diese Berichte engagierten Bürgern im Land als Munition im Kampf um Reformen dienen. Doch die Gefahr, dass negative Berichte und ganz generell ausländische Kritik von der Regierung zur Schaffung einer Opferrolle missbraucht wird, sei nicht von der Hand zu weisen: „Die rumänischen Politiker reiten nämlich auf einer Welle der Ahnungslosigkeit der Öffentlichkeit über die EU. Wir hatten während des Beitrittsprozesses keine ordentliche Debatte darüber, was es bedeutet, Mitglied der EU zu werden.“ Die Rumänen waren mit überwältigender Mehrheit für den Beitritt, von dem sie sich üppige EU-Förderungen und raschen Wohlstand versprachen. Die rechtsstaatlichen Pflichten, die man damit auch eingeht, ignorierten sie aber – und die Politiker taten nichts, um sie aufzuklären.

Darum ist auch die zweite Handhabe der EU gegen die rumänische Entgleisung ziemlich wirkungslos. Das neue rechtsstaatliche Überwachungsverfahren von Justizkommissarin Reding würde ja ebenfalls auf dem Einverständnis aller nationalen Politiker fußen, dass in Rechtsstaaten bestimmte Regeln für alle gelten.

Ernüchternde Lehre für die EU

Genau daran hapert es in Rumänien gewaltig, hielt Agnes Nicolescu vom Bukarester Europa-Institut jüngst fest. „Das vielleicht besorgniserregendste Verhalten, das europäische Kritik an Bukarest hervorgerufen hat, ist die Missachtung für Verfahrensregeln.“ Sie sind nämlich ein Lackmustest für die Vertrauenswürdigkeit politischen Handelns. Dasselbe gelte für die öffentliche Verantwortlichkeit von Amtsträgern. Doch diese werde in Rumänien nur als Vorwand eingesetzt, um dem politischen Gegner eins auszuwischen.

Ist also alles aussichtslos? „Nein“, sagt Stratulat mit Hinweis auf Rumäniens Zivilgesellschaft. Doch leicht wird es nicht. Die Lehre für Europa ist ernüchternd: „Eine funktionierende Demokratie ist aufwendig und nie fertig. Rumänien zeigt, was passiert, wenn man nicht ständig acht gibt.“

Auf einen Blick

Rumänien trat Anfang 2007 gemeinsam mit Bulgarien der EU bei. Doch schon bald zeigten sich in beiden Ländern schwere Mängel im Justizwesen, beim Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen. Halbjährlich verfasst die EU-Kommission seither Berichte über die Rechtsstaatlichkeit, stets kann sie nur winzige Fortschritte feststellen.

Die Erzfeindschaft zwischen Präsident Basescu und Regierungschef Ponta verschärft das Problem und bringt den Rest der EU in eine sehr unbequeme Lage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2012)

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