Haneke-Film „Amour“: Letzter Liebesdienst

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Ein Kammerspiel über die härteste Prüfung: Michael Hanekes heuriger Cannes-Siegerfilm und Oscar-Kandidat für Österreich ist ein methodisches Melodram über das Ende. Ab Freitag ist „Amour“ im Kino.

Mit dem Anblick einer Tür, die aufgebrochen wird, beginnt „Amour“, der heurige Cannes-Siegerfilm (und Oscar-Kandidat für Österreich) von Michael Haneke. Zugang zu einer abgeschlossenen Welt: Die Feuerwehr dringt in eine leere Bürgerwohnung ein, deren Türen mit Klebeband abgedichtet sind. Die Männer halten sich die Nasen zu und reißen die Fenster auf. Bald sieht man die Ursache des Gestanks: eine Frauenleiche auf dem Bett, liebevoll umkränzt mit Blüten. Erst dann kommt der Titel. Hanekes französischsprachiges Kammerspiel heißt „Liebe“, aber erzählt wird die Vorgeschichte eines gewissen Todes. Wie stets bei Haneke ist es eine Versuchsanordnung, in der die Figuren und der Zuseher auf die Probe gestellt werden.

Diesmal trifft es ein Ehepaar von Musiklehrern jenseits der 80, verkörpert von den Eurokino-Altstars Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant (für den Haneke explizit das Buch geschrieben hat). Eine gelungenen Auftaktszene zeigt das Pensionistenpaar mit den bei Haneke stets wiederkehrenden Namen Georges und Anne beim Konzertbesuch: In der Totalen des Zuseherraums gehen die Hauptfiguren in der Masse unter. Der Rest des Films spielt fast nur in der Intimität der Wohnung des Paars: ein Zweipersonenstück über die Konfrontation mit dem Unvermeidlichen. Der Alltag des kultivierten, ruhigen Lebens wird empfindlich gestört: Erst starrt Anne beim Frühstück weggetreten ins Leere, reagiert nicht auf die Bemühungen des Gatten. Danach kann sie sich an nichts erinnern: Beginn eines rapiden körperlichen und geistigen Verfalls. Als Anne halbseitig gelähmt aus dem Hospital zurückkehrt, nimmt sie Georges das Versprechen ab, nie wieder dorthin zu müssen. Für ihn erwächst daraus die härteste Prüfung.

Die Zumutung des Verfalls bis zum Tod

Bruchlos aneinandergesetzte Handlungsblöcke folgen der Verschlechterung von Annes Zustand: Ihr Rollstuhl wird durch einen elektrischen ersetzt (in einem raren spielerischen Moment zeigt Haneke, wie sie ihn ausprobiert), es versagen Artikulationsvermögen und Körperfunktionen, schließlich schwindet jedes Begreifen. „Warum willst du dir und mir das antun?“, hat Anne eingangs gefragt: Haneke konfrontiert Georges und das Publikum mit der Zumutung des Verfalls bis zum Tod, wobei (nicht nur wegen Annes Leiche am Anfang) klar ist, dass wieder nur ein Punkt angesteuert werden kann – Georges letzter Liebesdienst, um dem Dahinvegetieren seiner Partnerin ein Ende zu setzen. Wo Riva immer wieder bemerkenswerte Körperbeherrschung zeigt, ist es doch Jean-Louis Trintignant, der hier die wahre Hauptrolle spielt: Im Zentrum steht Georges  mit seinem Dilemma, die Fragilität seines zusehends zurückgezogenen, verschlossenen Lebens verstärkt von der echten Gebrechlichkeit des 81-jährigen Trintignant.

Der Tod seiner Tante habe ihn inspiriert, erzählt der Regisseur im Interviewbuch „Haneke über Haneke“, das Anfang 2013 im Alexander Verlag erscheint: Wiewohl weitere persönliche Elemente eingingen – das Apartment hat den Grundriss der Wohnung seiner Eltern –, ist „Amour“, von Darius Khnodji in rein funktionalen Digitalbildern fotografiert, weder autobiografisch noch persönlicher als andere Haneke-Prüfungen. (Eine Taube, symbolschwer wie bei John Woo, ist nicht das einzige überdeterminierte Element.) Die häufige Kritikerbehauptung eines anderen, zärtlichen Haneke-Zugangs in diesem Film verdankt sich wohl eher der Rührung durch ein Thema, mit dem heute fast jeder individuelle Erfahrung hat. Denn der Filmemacher arbeitet mit derselben Methodik wie immer, und überlässt die Frage nach Er- oder Auflösung einmal mehr dem Zuseher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2012)

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