''Jahrhundertstreit''
''Jahrhundertstreit'': Der Kärntner ''Ortstafelsturm''
Am 20. September 1972 wurden in Kärnten slowenisch-deutsche Ortstafeln aufgestellt. Deutschsprachige Kärntner beschmierten sie, montierten sie ab und drohten mit Anschlägen. Ein Rückblick.

Am 20. September 1972 ließ Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) die ersten zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten aufstellen – und löste den „Ortstafelsturm“ aus: „Deutsch-Kärntner“ beschmierten die Schilder, montierten sie ab und drohten mit Bombenanschlägen.
Ein Rückblick auf den Kampf um die getäfelte Zweisprachigkeit.
Ein Rückblick auf den Kampf um die getäfelte Zweisprachigkeit.
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Vorgeschichte
Der Österreichische Staatsvertrag von 1955 sichert den Slowenen in Kärnten das Recht auf zweisprachige Schilder in gemischten Ortschaften zu – Taten folgen nicht. Bei der 50-Jahr-Feier der Volksabstimmung im Jahr 1970 kippt schließlich die Stimmung: Ortstafeln werden beschmiert oder von slowenischen Gruppen abmontiert. Deutschnationaler Gegenpol dazu sind der Kärntner Heimatdienst und der Abwehrkämpferbund, die vor einer kommunistischen Bedrohung durch die slowenische Minderheit warnen.
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Am 6. April 1972 nimmt der Kärntner Landeshauptmann Hans Sima mit Bundeskanzler Bruno Kreisky (beide SPÖ) Gespräche zu einer Lösung der Ortstafelfrage auf. Sie führen am 6. Juli zum Beschluss eines Bundesgesetzes, das die topographischen Aufschriften in deutscher und slowenischer Sprache überall dort vorsieht, wo mehr als 20 Prozent der Bevölkerung bei der Volkszählung 1971 Slowenisch als Muttersprache angegeben hatten. Dies betrifft 205 Ortschaften in 36 Gemeinden.
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Der Abwehrkämpferbund stemmt sich gegen das Bundesgesetz. Er will zweisprachige Schilder bestenfalls in sieben Gemeinden akzeptieren. Bei der Jahreshauptversammlung sagt der Vorsitzende: „Wir sind wieder in einem Abwehrkampf, wenn auch mit geistigen Waffen, eingetreten.“ Aus dem Publikum kommt der Zwischenruf: „Versuchen wir es noch einmal mit einer Unterschriftensammlung, und wenn auch das nicht hilft, dann: Volk steh’ auf – Sturm brich los.“
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Der Sturm bricht los
Am 20. September 1972 lässt Kanzler Kreisky die ersten zweisprachigen Ortstafeln aufstellen – der „Ortstafelsturm“ bricht los: „Deutsch-Kärntner“ beschmieren die Schilder und montieren sie umgehend wieder ab. Gleichzeitig kommt es zu Bombendrohungen gegen das Gebäude der Kärntner Landesregierung. Innerhalb der nächsten 24 Stunden werden die Tafeln gereinigt und wieder aufgestellt, „Schmierer“ werden festgenommen – ohne Erfolg. Bis zum 10. Oktober gibt es praktisch keine zweisprachige Tafel mehr.
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Am 14. Oktober beginnt die Straßenverwaltung mit der neuerlichen Aufstellung der Schilder – abermals ohne Erfolg. Bis zum Jahresende werden fast alle Tafeln gewaltsam entfernt oder die slowenischen Aufschriften beschmiert.
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Weiters gehen bei vielen Gendarmerieposten Drohungen ein, Hochspannungsmasten zu sprengen, sollte gegen die Stürmer vorgegangen werden. Ebenfalls dokumentiert sind die Schändung von Partisanendenkmäler sowie Angriffe auf Exekutivbeamte. Auch die Autoreifen des Wagens von Landeshauptmannes Sima sollen zerstochen worden sein.
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ÖVP und FPÖ beschließen eine „geheime Spracherhebung“, um die Größe der slowenischen Minderheit feststellen zu können. Diese „Volkszählung besonderer Art“ findet am 14. November 1976 statt. Zuvor wurde im Juli per Volksgruppengesetz eine 25-Prozent-Klausel festgelegt. In allen Gemeinden, in denen sich mehr als ein Viertel der Bevölkerung zur slowenischen Volksgruppe bekannte, sollten zweisprachige Ortstafeln angebracht werden. Damit blieben nur noch 91 Orte übrig, 60 von ihnen erhielten in den Folgemonaten solche Schilder.
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Der Streit nach dem Sturm
Langsam kehrt Ruhe in den Konflikt ein, bis Ende 2000 im Burgenland deutsch-kroatische Ortstafeln aufgestellt werden. Die Kärntner Slowenen fordern eine Novellierung des als zu restriktiv empfundenen Volksgruppengesetzes. Landeshauptmann Jörg Haider lehnt dies ab. Am 13. Dezember 2001 hebt der Verfassungsgerichtshof die 25-Prozent-Regelung auf und setzt die Grenze bei zehn Prozent fest. Haider reitet daraufhin wütende Attacken gegen VfGH-Präsident Ludwig Adamovich (Bild).
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Im Mai 2005 folgt eine weitere „Kärntner Konsenskonferenz", in deren Folge von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Haider in drei Ortschaften feierlich zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden. Damit stehen 77 der 91 vorgesehenen Schilder. Im Dezember schreibt der VfGH weitere zweisprachige Schilder in Bleiburg und Ebersdorf vor. Haider will dies umgehen und lässt die dortigen Ortstafeln verrücken. Der Gerichtshof beurteilt dies später als unzulässig.
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Im Nationalratswahlkampf im August 2006 setzt Haider erneut auf Härte und erfindet eine neue Umgehungsmöglichkeit: Er lässt zweisprachige Tafeln durch deutsche Ortsschilder mit kleinen slowenischen Zusatztafeln ersetzen. Vier Monate später erachtet der VfGH das als gesetzwidrig. Im Februar 2007 werden die Tafeln erneut umgestaltet: Die Zusatzschildchen werden in die Tafel hineinmontiert. Der VfGH ortet abermals Verfassungswidrigkeiten.
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Im Frühjahr 2011 wird Schüssels Topographieverordnung von 2006 aufgehoben, neue Verhandlungen zwischen der Kärntner Landesregierung, Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ), der Slowenenvertreter und Heimatbünde finden am 1. April eine langersehnte Lösung des Ortstafelstreits: In Gemeinden mit einem Anteil von 17,5 Prozent an slowenischsprachiger Bevölkerung müssen zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden. Dörfler: „Der Jahrhundertstreit ist endlich beendet."
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Offene Fragen
40 Jahre nach dem „Ortstafelsturm“ sind noch einige Fragen offen – etwa jene nach der Organisation des Protests. Der Historiker Peter Gstettner vermutet einen Verein als Drahtzieher, möglicherweise den Kärntner Heimatdienst. Anders, so Gstettner, hätte eine „kleine Minderheit intoleranter Chauvinisten strafbare Handlungen gegen die Exekutive“ so nicht setzen können. Die These kann aber bisher nicht beweisen werden. Fest steht lediglich, dass viele Mitglieder des Heimatdienstes am Sturm teilnahmen, die durch Presseaufnahmen identifiziert werden konnten.
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Die zweite große Frage ist, ob es sich beim „Ortstafelsturm“ um eine geplante Terroraktion handelt oder um einen spontanen „Volksaufstand" gegen das Diktat aus Wien. Für erstere Variante spricht, so Gstettner, dass es noch in der ersten Nacht des Sturmes Bombendrohungen gegen die Landesregierung gab - „Laien" hätte dies nicht gemacht. Für die zweite Version spricht, dass die Schmieraktionen meist chaotisch und gewaltlos verliefen.
(hell)
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