Norwegen: Wenn Reichtum zum Problem wird

(c) EPA (Statoilhydro / Oyvind Hagen - Ha)
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Wer will einen normalen Job, wenn die boomende Ölindustrie deutlich höhere Löhne zahlt? In Norwegen fehlen Krankenpfleger und Lehrer. Wohnen wird immer teurer.

Oslo/Bloomberg. Das 1969 vor der Küste Norwegens gefundene Erdöl hat dem Land unermesslichen Reichtum beschert. Doch der Ölboom, den Beobachter mit dem Goldrausch in den USA vergleichen, hat sich für einige zu einem Fluch entwickelt. „Es ist wie ein Erdbeben, eine Katastrophe”, sagt Per Swensen, Bürgermeister von Meloey, einem nördlich des Polarkreises gelegenen Bezirks, dessen 6600 Einwohner sich auf 755 Inseln verteilen.

Denn vom Ölreichtum kommt in Meloey nicht viel an, und der Solarkonzern Renewable Energy Corp. ASA hat aus Kostengründen im März eine Produktionsanlage mit 200 Mitarbeitern in Glomfjord geschlossen.

Höhere Preise als in Tokio

Orte wie Glomfjord sind Opfer der wachsenden wirtschaftlichen Kluft, die durch das Erdöl in Norwegen geschaffen wurde. Einerseits wurden durch den Boom aus einigen Fischerdörfern reiche Wohnorte, deren Immobilienpreise es mit Zürich und Tokio aufnehmen können. Andererseits ist es nirgendwo in Europa teurer, Geschäfte zu führen. Alle anderen Branchen haben es schwer, in dem Land etwas aufzubauen.

„Es würde mir besser gefallen, wenn wir mehr als nur ein Standbein heute und in Zukunft hätten“, sagt Hilde Bjoernland, eine Wirtschaftsprofessorin an der Norwegian Business School in Oslo. In der Herstellung beträgt der durchschnittliche Stundenlohn etwa 44Euro – das sind 31Prozent mehr als in Deutschland und sogar 65Prozent mehr als in den USA. Den exportorientierten Unternehmen macht zudem die starke Krone zu schaffen, die sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren gegenüber einem Währungskorb der wichtigsten Handelspartner um 24Prozent verteuert hat. Dahinter stand nicht zuletzt der Wunsch von Investoren, sich angesichts der Finanzkrise im ölreichen Norwegen abzusichern.

Natürlich hat der Ölboom aus Norwegen ein Land gemacht, das andernorts von vielen beneidet wird. Die Norweger haben das dritthöchste Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der Welt, die Arbeitslosenquote liegt unter drei Prozent, und Gesundheitsversorgung und Erziehung sind gratis. In dem durch den Ölreichtum gefüllten Staatsfonds stecken mittlerweile 640 Mrd. Dollar (490 Mrd. Euro), das entspricht 128.000 Dollar pro Einwohner.

Leben nicht mehr leistbar

Gleichzeitig schafft der Reichtum Probleme für den Wohlfahrtsstaat, da die Lebenshaltungskosten landesweit in die Höhe klettern. Stavanger beispielsweise lebte früher von seinen Fischfabriken, jetzt tummeln sich Menschen aus allen möglichen Ländern in der Stadt, hochpreisige Restaurants schießen wie Pilze aus dem Boden. Gleichzeitig sind die Kosten allerdings so stark gestiegen, dass sich Arbeiter aus der Gesundheitsbranche – beispielsweise Krankenschwestern – das Leben in Stavanger gar nicht mehr leisten können. Die örtlichen Krankenhäuser versuchen händeringend, Personal für die rund 40 freien Stellen zu finden.

Die Immobilienpreise haben sich in Stavanger seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Das liegt vor allem an den Mitarbeitern von Exxon Mobil Corp., Total SA und anderen Ölgiganten, die in die Stadt strömen. Stavanger ist die fünftteuerste Stadt der Welt, vor Genf und Zürich. Oslo ist die Nummer zwei nach Tokio.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2012)

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