Butchery Classes: Koteletts im Kollektiv

Wie schärft man ein Messer, wie zerteilt man ein Schwein? In London geben junge Fleischhauer Nachhilfe: Butchery Classes boomen.

TIPP

Das Hackbeil liegt tückisch still neben einer halb zerteilten Feldhasenschulter und zwei Männerhänden. Die Hände gehören zu Scott. Gewichtig stützt sich der junge Fleischhauer auf sein Revier in der „The Ginger Pig“-Filiale Moxon Street, einen langen Arbeitstisch aus massivem, mitgenommenem Holz, und sortiert erst einmal seine Worte. Im Umgang mit der Presse hat er weniger Übung als in jenem mit Ausbeinmessern und Hackbeilen. Hinter ihm in der Kühlkammer leuchten gereifte, fettummantelte Trümmer unter Neonlicht, hängen halbe Rinder. Der Schweinekopf über der Tür darf als Trophäe gelten, fast diabolisch ist sein Grinsen, ein Blutstropfen scheint auf dem Weg aus der Nase gestockt zu sein.

Nichts deutet darauf hin, dass hier heute Abend noch an einer weiß gedeckten Tafel diniert wird. Außer man erinnert sich wieder, welchen Weg man hier herein genommen hat, tritt einen Schritt auf die Straße, wirft einen Blick nach links, wo die viel besuchte Marylebone Highstreet pulsiert. Sie gilt zurzeit als eine der Trendstraßen Londons, als place to be. Für the thing to do muss man derzeit zu Scott und seinen Kollegen Perry und Borut. Die beiden leiten die Butchery Classes in der hochgelobten Fleischhauerei „The Ginger Pig“, die sich auf alte Rassen spezialisiert hat. Scott und Jason, ein junger Mann mit Tattoos auf dem Arm und Hipsterfrisur, helfen dabei, dem schicken Foodie-Volk der britischen Hauptstadt Nachhilfe in Schweinezerteilen, Wurstmachen und Steakreifung zu geben. Das Interesse ist riesig, trotz der 135 Pfund, die ein Abend kostet. „Die Kurse sind rasend schnell ausverkauft“, sagt Scott und wundert sich offensichtlich ziemlich über den Erfolg der Veranstaltungen. Mit nicht ganz sauberen Fingern schiebt er wiederholt seine verschmierte Brille zurecht.

Büromenschenflut. „The Ginger Pig“ hat mehrere Filialen, die vier verschiedenen Butchery Classes finden aber alle in Marylebone statt. Man entscheidet sich zwischen den Kursen Beef, Pork, Lamb und Sausage Making. Egal, welchen man bucht, es gibt immer eine Einführung zur Herkunft der Tiere, das ist bei „The Ginger Pig“, die sich als Fleischhauerei der glücklichen Tiere versteht, selbstverständlich.

„Inzwischen haben wir auch viele Firmenevents“, erzählt Scott und scheint wieder nicht ganz zu verstehen, warum Manager und ähnliche ihm ferne Büromenschen mit ihren sauberen Brillen, reinweißen Hemden und manikürten Händen es plötzlich erstrebenswert finden, sich mit rohem Fleisch, mit splitternden Knochen, Fetträndern und Därmen zu beschäftigen. Gut, am Ende des Abends wird ein weißes Tuch über den Arbeitstisch gebreitet, ein Gang mit dem zuvor bearbeiteten Fleisch zubereitet und samt Weinbegleitung serviert. Aber worin liegt die Faszination? Scott kann es sich nicht erklären.

„Das Schwein hat den interessantesten Körperbau“, heißt es auf der Homepage von „The Ginger Pig“. (Oder sind bloß die Schweinekurse noch am wenigstens gefragt?) Die Fleischhauer zeigen an sieben Tagen die Woche abwechselnd, wie man die begehrten Backerln heraustrennt, welches Fleisch für den Pork Pie verwendet wird, wie man ein Filet zuschneidet. Beim Lamm gibt es die größten saisonalen Unterschiede, was die Größe betrifft, die Wurstklasse ist jene, in der man am meisten Hand anlegen muss, lautet die Warnung, und wenn man das Thema Rind bucht, muss man wissen, dass man nur mit einem kleinen Teil des Tiers arbeiten wird. Ein halbes Rind auf Scotts Hackblock wäre doch zu groß.

Dry-Age-Kammer als Blickfang. Mit einem halben Rind posiert hingegen Zac, der sämtliche ästhetischen Vorurteile über Fleischhauer, die Scott noch eher erfüllt, unterläuft – schlank, mit halblangen Haaren und Jerseyhaube. Zac arbeitet nächst St Paul’s Cathedral in der Barbecoa Butchery, die Jamie Oliver gemeinsam mit Adam Perry Lang betreibt. Einen Monat mindestens reift hier Rindfleisch in der großen Dry-Age-Kammer, die von der Straße aus sichtbar ist – vor allem in der Nacht ein ungewöhnlicher Anblick. Im rechten Teil des Geschäfts  hängen rücklings aufgeschlitzte Schweine, die Hintern anklagend den Passanten zugedreht. Ums Eck und einen Stock höher isst man im „Barbecoa“ überaus zeitgemäß Steak und manchmal auch Innereien, in der Butchery wird das Fleisch für das Restaurant und den Direktverkauf vorbereitet. Butchery Classes gibt man hier auch, „Masterclasses“ heißen sie hier. „Jamie schaut zwar circa einmal im Monat hier vorbei“, sagt Zac in einem Englisch, für das man als Nichtlondoner dem jungen Mann gern einen Entwirrfilter vor den Mund halten würde, „ist aber bei den Kursen nicht dabei“. Und an das teure Wagyu-Rind, das man hier verkauft, lässt man die Laien auch nicht.

Die Londoner Fleischhauerei-Kette „The Ginger Pig“ verkauft Bio-Fleisch von alten Rassen. Butchery Classes gibt es täglich in der Moxon Road, vier verschiedene stehen zur Auswahl. Empfehlenswert ist auch das Kochbuch „Ginger Pig. Natürlich Fleisch“, erschienen bei Dumont, 30 Euro. www.thegingerpig.co.uk

Jamie Olivers Barbecoa Butchery gehört zum Restaurant „Barbecoa“ nächst St. Paul’s Cathedral. Auch hier kann man Butchery Masterclasses buchen. www.barbecoa.com/butchery

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Shepherd's Pie
Goodbye Britain

Die höhere Unordnung einer Shepherd's Pie

„Ich misstraue der gallischen Küche“, hieß es schon in „Asterix bei den Briten“. Dieses Prinzip schwindet im heutigen Britannien. Leider. Ein Plädoyer für Scouse und Mash, dazu eine Kurzeinführung in den Cockney Rhyming Slang.
Rezept

Welsh Rarebit zum Brexit

Für 4 Portionen.
Symbolbild Wurst
Gourmet

Wie das Schwein in den Darm kommt

Kettenhandschuh, Knetlust und Kurbelgefühl: Bei den Wurstkursen von Britwurst-Macher Richard Holmes lernt man, wie man Fleisch in den Darm bekommt – und Liebe, nicht aber Luft.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.