Kevin Bales: „Heute kostet ein Sklave nur noch 90 Dollar“

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Der US-Soziologe und Sklavereiexperte Kevin Bales über neue Formen von Sklaverei, ihre Auswirkung auf die Weltwirtschaft und wie man sie abschaffen kann.

Welche Faktoren fördern Sklaverei?

Kevin Bales: Es geht um Verletzlichkeit. Dort, wo Gesetze gegen Sklaverei nicht durchgesetzt werden, sind die Menschen dem Phänomen besonders ausgeliefert. Auch Armut, Geschlecht, Ethnizität oder Migration können verletzlich machen. Je korrupter ein Land, desto mehr Sklaverei gibt es. Andere Aspekte sind sozialer Natur: Menschen werden nicht nur mit Gewalt versklavt, sie werden auch ausgetrickst.

Gibt es einen Kapitalismus ohne Sklaverei?

Kapitalismus würde ohne sie sehr gut funktionieren, der Großteil der Wirtschaft kommt ohne Sklaverei aus. 27 Millionen Slaven weltweit (Bales' Schätzung, Anm.) klingt nach viel, es ist aber gemessen an der Weltbevölkerung die historisch niedrigste Zahl. Auch werden weltweit nur etwa 40 bis 50 Milliarden Euro im Jahr durch Sklaverei erwirtschaftet. Würden morgen alle Sklaven befreit, hätte das keine Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, Produkte würden nicht teurer werden. Die einzigen Verlierer wären jene Kriminellen, die von der Sklavenarbeit leben.

Welchen Profit bringt ein Sklave im Vergleich zu einem bezahlten Arbeiter?

In Mauretanien bringen Sklaven nur wenig mehr ein als bezahlte Arbeiter. In Thailand macht der Profit aber oft um die 800 Prozent aus. Das hat mit dem Preis der Sklaven zu tun. Früher waren sie teuer, eine kapitalistische Investition. Es gab Kaufurkunden, sie waren versichert und wurden weitervererbt. Vor dem Bürgerkrieg in Amerika kostete ein etwa 18-jähriger Sklave zehn- bis zwölftausend Dollar, heute wären das 45.000 Dollar. Im weltweiten Durchschnitt kostet ein Sklave heute nur noch etwa 90 Dollar.

Aus welchen Ländern werden Sklaven nach Europa gehandelt?

Die Menschen kommen von armen Ländern in reichere. Die Sprünge sind aber klein: Jemand aus der Peripherie Burkina Fasos, der nur eine regionale Sprache beherrscht, wird nicht nach Wien kommen, sondern eher in die Elfenbeinküste versklavt. Nach Westeuropa werden Frauen aus Osteuropa verschifft oder Chinesinnen und Philippinas. In Portugal und Spanien arbeiten viele Brasilianerinnen und Argentinierinnen als Sklavinnen im Haushalt.

Wie viele Sklaven gibt es in Europa?

Wir haben keine Statistiken. Die Regierungen tun sich schwer, Sklaverei zu definieren: Ist das jetzt ein illegaler Migrant oder ein Sklave? Es sind auf jeden Fall mehr als 100.000, es könnten aber auch sehr viel mehr sein.

Wie kann es ein, dass es heute immer noch Millionen Sklaven gibt?

Das liegt daran, dass wir das Problem vergaßen. Bis Mitte des 20. Jh.s waren wir mit Kriegen beschäftigt. Im Kalten Krieg interessierte sich niemand für Sklaverei. Für die eine Seite war jeder, der im Kapitalismus lebt, ein Sklave, die anderen sagten dasselbe über den Kommunismus. Seit Ende des Kalten Kriegs wurde die Sklaverei sichtbarer, man fing wieder an, sich damit zu beschäftigen.

Was kann man gegen Sklaverei tun?

Davon handelt mein zweites Buch. Die Sklaverei weltweit ganz abzuschaffen würde 25 bis 30 Jahre dauern und um die zwölf Milliarden Euro kosten.

Das klingt nicht nach viel Geld.

Das ist eine Kleinigkeit. Menschen von der Sklaverei zu befreien würde letztlich mehr Geld einbringen, als es kosten würde. Sklaven sind nur minimal produktiv und als Konsumenten völlig ausgeschlossen von der Wirtschaft.

Was wird in 50 Jahren sein?

Die Sklaverei könnte Vergangenheit sein. Oder es wird sein wie mit den Pocken: Sie treten manchmal auf, sind aber kein weltweites Phänomen mehr.

Steckbrief

Kevin Bales (* 1952 im US-Staat Oklahoma) ist Soziologe und gilt als weltweit führender Experte zum Thema Sklaverei. Er lebt seit Langem in Brighton (England). 1999 erschien sein Buch „Die neue Sklaverei“, 2007 „Ending Slavery. How We Free Today's Slaves“. Kunstmann

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2012)

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Eine kurze Geschichte der Sklaverei

Vor 150 Jahren erklärte US-Präsident Abraham Lincoln die schwarzen Sklaven in den Südstaaten für frei. Die Sklavenhaltung begann wohl erst mit des Menschen Sesshaftwerdung vor etwa 11.000 Jahren.

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