Mohammed-Video: Der innerislamische Kulturkampf

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innerislamische Kulturkampf(c) AP (Fareed Khan)
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Der Streit um das Mohammed-Video verdeckt einen anderen Konflikt: den zwischen Islamisch-Konservativen und Salafisten in der neuen arabischen Welt.

Wieder einmal feierten die Vertreter des „Kampfes der Kulturen“ ein paar Festtage zwischen dem Mohammed-Schmähfilm, französischen Karikaturen und den Reaktionen darauf. Er wurde gleichsam auf beiden Seiten propagiert, im Orient von den Salafisten, im Okzident von Islamgegnern.

Aber statt des Kampfs der Kulturen zwischen Orient und Okzident steht den Ländern des Arabischen Frühlings ein anderer, ein interner Kulturkampf bevor. Die Frontlinie in Ägypten, Libyen und Tunesien verläuft dabei zwischen der Mehrheit der Gesellschaft und den ultrakonservativen Salafisten.

Diese Konfrontation zeichnet sich in allen drei Ländern ab. Augenscheinlich wurde das am Wochenende in Benghasi: Während die westlichen Kameras auf Pakistan und die dortigen Auseinandersetzungen rund um den Mohammed-Schmähfilm gerichtet waren, braute sich in der ostlibyschen Stadt etwas ganz anderes zusammen. Dort versammelten sich Zehntausende zu einer „Rettet Benghasi“-Demonstration und entledigten sich in Eigeninitiative der Plage der salafistischen Milizen.

Regierung verbietet Milizen

Sie marschierten einfach zum Hauptquartier von Ansar al-Scharia, einer Gruppierung, die mit dem Angriff auf das lokale US-Konsulat in Verbindung gebracht wird, bei dem vorige Woche der US-Botschafter starb. Deren Kommandeur befahl den Rückzug. „Ich will diese Typen hier nicht mehr sehen, die mich auf afghanische Art gekleidet anhalten und mir Befehle erteilen. Ich möchte hier Menschen in regulärer Uniform“, sagt der Student Omar Muhammad, der geholfen hat, die Ansar-al-Scharia-Basis zu übernehmen. Auch Stützpunkte anderer Milizen wurden angegriffen, insgesamt gab es elf Tote. Die Behörden haben daraufhin am Wochenende alle „illegitimen Milizen“ verboten.

„Jetzt kommt der Arabische Sommer“, wurde hoffnungsvoll aus Benghasi getwittert. Es war eine neue Art „arabischer Wutbürger“, denen die von den Golfstaaten ausgerüsteten salafistischen Milizen weichen mussten.

Ob sie diese Niederlage akzeptieren, sei dahingestellt – aber für den Konflikt zwischen Mehrheitsgesellschaft und Salafisten könnten die Ereignisse richtungsweisend sein. Denn auch in Tunesien zeichnet sich eine härtere Gangart gegen die Salafisten ab. Hatten diese noch vor einer Woche vor der US-Botschaft und in der amerikanischen Schule gewütet, ließ ihnen die Polizei am Freitag keinen Raum mehr. Der Chef der regierenden Ennahda-Partei, Rached Ghannouchi, erklärte die Salafisten zur Gefahr nicht nur für seine Partei, sondern für die „Sicherheit und Freiheit des Landes“.

Zeichen stehen auf Sturm

Ein interessantes Statement vom Chef der islamisch-konservativen Regierungspartei. Es zeigt, dass der Begriff „Islamisten“ nicht mehr viel bedeutet. Denn er wird gleichermaßen für islamisch-konservative Parteien wie ultra-religiöse Salafisten verwendet. Hatte man im Westen nach den Wahlen in Tunesien und Ägypten einen „islamistischen Schulterschluss“ erwartet, zeigt sich nun immer mehr, dass die Salafisten für die großen islamisch-konservativen Parteien ein Problem darstellen und dass Letztere der Konfrontation kaum mehr ausweichen können.

Das gilt auch für Ägypten, wo die regierende Muslimbruderschaft zwar noch zögert, doch die Zeichen zwischen Muslimbrüdern und Salafisten längst auf Sturm stehen. Der aus den Reihen der Muslimbrüder stammende Präsident Muhammad Mursi kann sich nicht staatsmännisch geben und gleichzeitig zusehen, wie Salafisten versuchen, der Gesellschaft ihre teils mittelalterlichen Vorstellungen aufzudrücken. Es waren auch salafistische TV-Kanäle, die vor zwei Wochen das Mohammed-Video ausgegraben und zu Protesten aufgerufen hatten, was die ägyptischen Sicherheitskräfte zwei Wochen lang in Atem hielt und sicherlich nicht tourismusfördernd war.

Zu Zeiten der Militärdiktatur waren Salafisten noch der Spielball der Staatssicherheit. In der neuen arabischen Welt muss man dieses Problem erstmals gesellschaftlich und politisch angehen. Um die Salafisten zu isolieren, braucht es anscheinend große islamisch-konservative Parteien wie die Muslimbrüder in Ägypten, die die Unterstützung der Mehrheit im Volk genießen. Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob sie auf dem „salafistischen Auge“ blind bleiben, aus Angst, einen Teil der konservativen Wählerschaft zu verlieren, oder ob sie die Salafisten politisch und sozial an den Rand drängen.

Auf einen Blick

In Libyen kam es in der Nacht auf Samstag zu einem Aufstand wütender Bürger gegen salafistische Milizen. Dabei starben elf Menschen, Dutzende wurden verletzt. Die Regierung verfügte in der Folge am Wochenende eine Auflösung aller „illegitimen Milizen“. Wie diese schwierige Aufgabe bewerkstelligt werden soll, ist freilich noch unklar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2012)

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