Fritzl-Buchautor: „Die Natur österreichischer Frauen“

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Der französische Autor des Romans „Claustria“, Régis Jauffret, trat am Montagabend Wiener im Rabenhof-Theater auf. Er und Burg-Star Nicholas Ofczarek lasen aus dem Buch.

Das Leitthema (gut oder weniger gut) recherchiert, die Handlung – eine Fiktion. In dieser Kombination kommt so mancher Roman daher. So weit, so kalkulierbar. Régis Jauffret verwirrt, weil er vermischt: Sein Roman „Claustria“ (Verlag „Lessingstraße 6“), aus dem Montagabend Burg-Star Nicholas Ofczarek im Wiener Rabenhof-Theater vorlas, handelt vom Fall Fritzl, von den im Keller eingesperrten Kindern, von Amstetten, vom Krieg, der russischen Besatzung. Von Österreich an sich.

Doch inwieweit der Roman des französischen Autors tatsächlich Fiktion, ja reine Fantasie ist, wie es im Vorspann heißt, und inwieweit ernst zu nehmende Recherchen des Autors drinnen stecken – und auch ernst genommen werden wollen, blieb Montagabend auch nach einer Publikumsfragestunde unklar.

Echte Erregung wollte sich jedenfalls nicht einstellen. Zu eilig schlüpfte der Autor bei heiklen Fragen hinter den unantastbaren Schutzwall eines frei schreibenden Romanciers. Das kräftigste Raunen ging durch das Auditorium, als Jauffret meinte, die Rolle, das „Wesen“ der Ehefrau von Josef Fritzl (dieser sitzt übrigens in der niederösterreichischen Haftanstalt Stein eine lebenslange Freiheitsstrafe ab) sei von Österreichs Behörden deshalb nicht durchleuchtet worden, da dies bedeutet hätte, „die Natur der österreichischen Frauen“ infrage zu stellen. Ein diffamierendes Pauschalurteil – bedenkt man, dass eben diese Ehefrau im Buch als devote Komplizin des Unmenschen Fritzl hingestellt wird. Apropos österreichisch: Typisch sei auch der Inzest. Typisch für Österreich, vergleichsweise untypisch für Frankreich. Wieder ein Raunen. Gefolgt von einer nicht überzeugenden Begründung: Inzest sei in Österreich mit maximal drei Jahren Haft bedroht, in Frankreich gebe es dafür weit strengere Strafen.

Waren die Wände im (echten) Fritzl-Keller in Amstetten schalldicht? Nein, sagt Jauffret. Alle Mieter im Haus hätten also das verzweifelte Klopfen, ja sogar Geräusche im Haushalt (Mixer, Waschmaschine) hören müssen. Darauf beharrt der 1955 in Marseille geborene Schriftsteller. Dies sei nun keine Fiktion mehr. Leider aber hätten Fritzls Mieter nicht reden wollen, als er, Jauffret, den Versuch unternommen habe, mehr herauszufinden. Er sei zweimal jeweils zehn Tage in Österreich gewesen. Österreich-Kenner sei er keiner.

Skurril: Zu Beginn des Abends scherzte Ofczarek, derzeit als Discobesitzer von „Braunschlag“ in der gleichnamigen TV-Serie zu sehen, im Dialog mit dem Moderator, dem Österreich-Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung, Charles E. Ritterbrand: Ob das Buch auch schon auf Schweizer Deutsch erschienen sei – und wenn ja, würde das Vorlesen in dieser Sprache die Österreicher vielleicht noch mehr aufregen. Die Frage wurde dem Autor vom durchwegs cool bleibenden „Dolmetscher“ Ritterbrand nicht übersetzt, sodass dem abwechselnden Vorlesen – einmal Ofczarek auf Deutsch, einmal Jauffret auf Französisch – nichts im Weg stand. Nach dieser Übung (in Ofczareks Vortrag schlich sich der eine oder andere Versprecher) folgten Erklärungen von Jauffret, vorgetragen wieder in dessen Muttersprache, von Ritterbrand aber nur resümierend übersetzt, wodurch nicht französisch sprechende Zuseher Probleme hatten.

So viel wurde dennoch (wenngleich wahllos) transportiert: Viele Frauen von Amstetten seien seinerzeit von russischen Besatzern vergewaltigt worden. Dies las Ofczarek vor, dies sagte dann auch der Autor. Das Monster, wie Josef Fritzl bezeichnet wurde, habe erst in einem kalten, vom Krieg zerfressenen Umfeld zu einem solchen werden können. Kamen sie nun, die Nazi-Vorwürfe? Mitnichten. Jauffret beruhigte: „Wenn ich glauben würde, Österreich sei ein Naziland, wäre ich nicht hergekommen.“

Schlussendlich wusste niemand mehr, was denn nun dem Roman und was dem Meinungsschatz des Autors entstammte. Und einer Stelle schien die Veranstaltung von Anfang an nicht ganz geheuer gewesen zu sein: der österreichischen Polizei. Eine Handvoll Beamte sicherte vorsorglich den Eingangsbereich des Theaters. Ganz wie willkommene Statisten. Das war auch Ritterbrand nicht entgangen, dem Publikum verkündete er, die Polizeipräsenz gebe dem Ganzen eine dramatische Note. Zu echter Dramatik reichte es an dem Abend nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2012)

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