Der Staat ist wie ein Körper: Manchmal hat er einen fetten Bauch

Braucht Österreich wieder Erzherzöge? In der Bibel ist das nicht belegt. Aber die Römische Republik bietet eine recht geschickte Argumentationshilfe für die bessere Gesellschaft.

Die Bibel kennt keine Standesunterschiede, in der Genesis zumindest nicht. Vor Gott sollen alle Menschen gleich sein. Aufständische berufen sich gern auf diese Vermutung, wie zum Beispiel der Engländer John Ball im 14.Jahrhundert. Von den Lehren des Reformators Wycliff motiviert, forderte dieser Priester aus Coventry die Aufhebung der Standesgrenzen: „Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?“, fragte Ball. Er schritt zur Tat.

Bauernaufstand, nicht aus Übermut, sondern aus Not. Die unten verhungerten, während die oben weiter prassten. Warum also Adel? Die Antwort der Besseren war immer die gleiche, schon lange bevor im Feudalismus die gottgewollte Ordnung festgeschrieben wurde, unter der sich alle Stände zu beugen hatten: „Es war schon immer so.“ Und dann ließ Richard II. den armen Ball vierteilen.

Auch Ulrich Habsburg-Lothringen bedient sich der Tradition als Argument. Der Adel sei „ein wichtiger Teil der Geschichte“, behauptete er im „Kurier“. Das reicht für ihn aus, um zu fordern, dass die Adelstitel, die hierzulande 1919 von der Ersten Republik aufgehoben wurden, wieder eingeführt werden, denn nur so gibt es für ihn „eine Gleichstellung der Adelstitel innerhalb der EU“.

Fairness für Fürsten? Wozu die EU mit ihrer schwach ausgeprägten Demokratie neben der besseren Gesellschaft von Rat, Kommission und Parlament auch ein Patriziat braucht, wird nicht klar. Habsburg könnte aber mit einem Gleichnis aus der Römischen Republik antworten: Weil man dafür einen starken Magen benötigt. Ein rhetorisches Meisterwerk zur Verteidigung von Privilegien lieferte Menenius Agrippa vor 2500 Jahren.

Die Plebejer probten den Aufstand. Der Senat schickte den aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Agrippa zu diesen Sezessionisten. Seine Rede brachte das Volk zum Einlenken – und nach Rom zurück. Shakespeare hat daraus in seiner Tragödie „Coriolanus“ ein Schulbeispiel der Manipulation gemacht: Nicht die Patrizier sind schuld am Elend. Die Götter wollten es so! Aber nein doch! Reiche sind nicht gierig! Wer den Senat als fetten Bauch bezeichne, habe unrecht. Er sei der Magen und sorge für alle, bis zum großen Zeh. Jedes Glied im Staatskörper habe seine Funktion. Agrippa erzählte folgendes Märchen: Wie schlimm war es doch, als sich alle Körperteile gegen den faulen Magen erhoben, der nur genieße, was andere ihm zuführten. Die Folge: allgemeines Organversagen!

Eine Weile hält solch ein Balanceakt die wütende Menge zurück. Die Metapher vom politischen Körper wird seither divergent ausgelegt – von oben oder unten. Kommt Habsburgs Initiative durch, darf er sich Erzherzog nennen. Der Herzog war schon bei den wilden Goten einer, der vor dem Heer als Erster seinen Kopf hinhielt, wenn es in den Kampf gegen andere divine Alphamännchen ging – oder nur gegen hungrigen Pöbel.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2012)

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