Geschichte der Zuwanderung: Aktivisten fordern Archiv der Migration

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Symbolbild(c) FABRY Clemens
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50 Jahre nach Beginn der Arbeitsmigration arbeiten Historiker an einem neuen Blick auf die österreichische Geschichte der vergangenen Jahrzehnte.

Wien. Wer die österreichische Staatsbürgerschaft will, muss etwas über Österreichs Geschichte wissen. Zumindest Teile des historischen Vermächtnisses des Landes werden bei sogenannten Staatsbürgerschaftstests abgefragt.

Das historische Vermächtnis jener, die seit Jahrzehnten aus dem Ausland nach Österreich kommen, wird nirgendwo aufgeschrieben oder gesammelt. Zumindest nicht geordnet und zentral. Und das, so eine Gruppe von Historikern, Wissenschaftlern und Migrationsexperten, soll sich möglichst bald ändern.

50 Jahre nach Beginn der Arbeitsmigration nach Österreich setzt sich der „Arbeitskreis Archiv der Migration“ für die Schaffung eines ebensolchen ein. Das Archiv soll die Geschichte und die Geschichten dieses Teils der heimischen Bevölkerung sammeln und sichtbar machen. Und zwar nicht nur die Geschichten der jeweiligen Eliten. Entscheidend sei, so der Arbeitskreis, die Migranten selbst entsprechend zu Wort kommen zu lassen. Wie der Arbeitskreis fordert auch der Aktivist und Sozialwissenschaftler Ljubomir Bratic ein Archiv für Migranten. Zusammen mit dem Integrationsexperten Arif Akkilic gründete er die Kampagne „Für ein Archiv der Migration, jetzt!“. Dabei wird im Rahmen des Kulturprojekts „Wienwoche“ eine Transparent- und Plakataktion am 5. Oktober auf dem Karlsplatz gestartet, anschließend zur Podiumsdiskussion in die Wienbibliothek im Rathaus um 19 Uhr eingeladen. An der Diskussion nehmen unter anderem Senol Akkilic von den Wiener Grünen, Vida Bakondy vom Arbeitskreis Archiv der Migration und Nurten Yilmaz von der SPÖ Wien teil.

Bewusst ausgeblendet?

Die Kampagne thematisiert die fehlende Existenz eines solchen Gedächtnisortes. „Wir gehen von der Tatsache aus, dass Teilhabe an der Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Sie muss durch gezielte Auseinandersetzungen, Ergänzungen und Erweiterungen, vor allem des institutionellen Gerüsts erfolgen“, sagt Bratic.

Aber warum gibt es keine wissenschaftlich dokumentierte Geschichte der Migranten in Österreich? „Das ist kein Zufall, sondern eine bewusst hervorgebrachte Lücke innerhalb der nationalstaatlichen Gedächtnispolitik“, behauptet Bratic. Darüber hinaus glaubt er, dass es keine Geschichte der Migration, und vor allem keine der Migranten selbst gebe. Der Grund dafür sei, dass sie nicht Teil des offiziell gepflegten Gedankengutes des hiesigen Nationalstaates sind.

„Der Staatsapparat reguliert die Bedeutung von Symbolen aus der Vergangenheit. Dabei werden über Schulbücher, Museen, Straßennamen, Feiertage usw. nur bestimmte Inhalte in der Öffentlichkeit verbreitet. Diese Tatsache gehört jedoch in allen gesellschaftlichen Bereichen anerkannt“, so seine Forderung, denn: Es bestehe ein rassistisch motiviertes Interesse, die Geschichte der Migration nicht als Teil der Nationalgeschichte anzuerkennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2012)

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