Wie 17 Nachrichtendienste und eine Million bezahlte Informanten das Regime absichern. Ein militärischer Umschwung werde erst möglich sein, wenn die „Freie Syrische Armee“ schwere Waffen zur Verfügung habe.
Wien. Seinen 43. Geburtstag hat sich Zaher Saadaldin anders vorgestellt. Da sitzt er nun in seiner schwarzen Wolljacke im Café Westend auf dem Wiener Gürtel, trinkt Earl Grey und gibt ein Interview. Vor Kurzem noch war der Syrer groß im Geschäft. Er entwickelte Immobilien in Damaskus, kaufte Häuser, renovierte sie und verhökerte sie wieder. Dafür brauchte er gute Kontakte zum Assad-Clan. Aber das war kein Problem. Denn Zaher Saadaldin stand unter dem Schutz der Herrscherfamilie. „Für sie gelte ich heute als Verräter.“
Das Verhältnis verschlechterte sich schlagartig, als er begann, politisch aktiv zu werden und im Februar sogar seine eigene Bewegung gründete: die „Nationale Entwicklungspartei“. Ab diesem Moment schloss er nähere Bekanntschaft mit dem syrischen Geheimdienst. „In Damaskus gibt es mehr Geheimdienststellen als Bäckereien“, erzählt er. Das System erinnert an die Blockwarte der Nazis. An jeder Ecke lauern Informanten, oft kleine Händler. Und in den Kellern ihrer Geschäfte befänden sich oft kleine Gefängnisse. „Ich war drei Meter unter der Erde eingesperrt.“
Drei Mal war der smarte Immobilienhändler in Einzelhaft: für zwei Monate, für einen Monat, und einmal für zehn Tage. Er kam frei. Er hatte ja Beziehungen, und Syriens System ist korrupt. „Ich kann noch heute jeden aus dem Gefängnis freikaufen“, sagt er.
Das Problem sei zunächst aber immer, herauszufinden, wohin die Vermissten verschwunden sind. Denn in Syrien gebe es insgesamt 17 Geheimdienste mit unzähligen Sektionen, die sich gegenseitig kontrollieren. Saadaldin nimmt einen Zettel, zeichnet einen Kreis, und schraffiert eine Hälfte. „Syrien ist wie eine Torte“, sagt er. „50 Prozent des Geldes rinnt in die Geheimdienste und die Armee. Dafür beschützen sie Assad.“ Rund eine Million Syrer stehe auf der Gehaltsliste der Geheimdienste. „Ein normales Leben ist in dieser Gesellschaft nicht möglich. Wenn jemand laut an die Tür klopfte, hatte ich schon Angst“, sagt der Syrer.
Eiserne Schützenhilfe aus Iran
Zuletzt kamen auch noch die unberechenbaren Shabiha-Milizen hinzu. Als Saadaldin einen Drohanruf von ihnen bekam, wusste er, dass es Zeit war, das Land zu verlassen. Das ist jetzt zweieinhalb Monate her. Seither lebt er in Istanbul und unterstützt von dort die Revolution in seiner Heimat.
Schwer zu sagen, ob Saadaldin zuversichtlich oder pessimistisch ist. Überraschend ist es für ihn jedenfalls nicht, dass Assad noch an der Macht ist. Das Regime habe sich 50 Jahre vorbereitet, um seinen Sturz zu verhindern, sich Vertraute aus jeder Volksgruppe erkauft und eiserne Schützenhilfe aus Teheran gesichert. „Das Regime verdankt sein Überleben vor allem der logistischen und finanziellen Unterstützung durch den Iran.“ Teheran kaufe Erdöl und stütze die syrische Währung, schicke Scharfschützen und sogar Kampfpiloten.
Der Bürgerkrieg könne sich noch Jahre hinziehen. Denn der Assad-Clan habe die Entscheidung getroffen, die Macht um keinen Preis abzugeben. Fallen aber werde das Regime erst, wenn die Opposition geeint sei. Doch daran hätten auch ausländische Mächte kein Interesse. Jeder stärke seine eigene Gruppe, Katar vor allem die Salafisten. Anfangs hätten Extremisten vom Schlag der al-Qaida keine Rolle bei den friedlichen Protesten in Syrien gespielt. Doch dann habe Assad Radikale aus den Gefängnissen freigelassen, um Chaos zu säen und einen Vorwand für den Einsatz von Gewalt zu haben. „Ein hoher Geheimdienstler hat mir einmal gesagt: Für uns ist es leichter, 1000 Kämpfer in den Griff zu bekommen als 100 Demonstranten.“
Ein militärischer Umschwung werde erst möglich sein, wenn die „Freie Syrische Armee“ schwere Waffen zur Verfügung habe und von einem befreiten Gebiet in Syrien aus operieren könne. Viele Soldaten, auch viele hochrangige Mitglieder des Regimes, seien bereit, abzuspringen, doch es gebe keinen sicheren Ort für sie. Saadaldin wertet es als ein positives Zeichen, dass die Freie Syrische Armee nun ihr Hauptquartier aus der Türkei nach Syrien verlegen wolle.
Ob nach Assad nicht Anarchie droht? Saadaldin ist sich der Gefahr bewusst. Das Ziel seiner politischen Arbeit ist es, sich für den Tag X nach Assads Sturz vorzubereiten und Sicherheitsgarantien für die Minderheiten auszuarbeiten, auch für die alawitischen Glaubensbrüder des Assad-Clans.
Doch erneuern werde sich Syrien erst in der nächsten Generation, glaubt er. „Uns hat das Assad-Regime für immer geschädigt.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2012)