Während eine Maissorte ins wissenschaftliche Zwielicht gerät, steht in der EU die Zulassung einer weiteren an. Im Zentrum steht nun die umstrittene Lebensmittelagentur Efsa.
Brüssel. Wieder Monsanto, wieder Mais: Nach mehreren Anläufen ohne Einigung versuchten hohe Diplomaten der EU-Staaten in Brüssel am Donnerstag erneut, eine Entscheidung über die Zulassung der gentechnologisch veränderten Maissorte MIR162 zu treffen. Zu Redaktionsschluss der „Presse“ hatte das Treffen dieses Berufungsgremiums der Botschafter unter Vorsitz der Europäischen Kommission noch nicht begonnen. Doch schon vorher zeichnete sich ab, dass es weder für noch gegen die Genehmigung der Einfuhr dieses Futtermittels in die EU ausgehen würde. Befürworter und Gegner der Gentechnologie halten sich die Waage. Und damit fällt die unangenehme Entscheidung erneut der Kommission zu.
Für sie wird dieses Thema besonders heikel, weil es gerade erst mit einer zweiten umstrittenen Monsanto-Maissorte grobe Probleme gibt. Diese Maissorte mit der Typenbezeichnung NK603 ist bereits zur Verfütterung in Europa zugelassen, auf Basis eines wissenschaftlichen Gutachtens der EU-Lebensmittelagentur Efsa. Doch eine neue Langzeitstudie einer Gruppe von Biomedizinern an der Universität von Caen kam zum Ergebnis, dass dieser Mais, der gegen das Monsanto-Unkrautvernichtungsmittel Roundup immun ist, schwer krebserregend sei.
Die Studie wird zwar von anderen Wissenschaftlern angezweifelt. Die Forscher aus Caen hätten sich bei ihren Versuchen einer Rasse von Ratten bedient, die ohnehin eine höhere Anfälligkeit für die offenbarten Krebserkrankungen aufweise. Das politische Problem für die Kommission und die Lebensmittelagentur löst sich damit aber nicht.
Agentur prüft Krebsstudie
Nächste Woche will die Agentur ihre Einschätzung der kritischen Studie aus Caen vorlegen. „Sollten Informationslücken festgestellt werden, wird die Efsa sich an die Autoren wenden, um weitere Einzelheiten zu den im Rahmen der zweijährigen Studie verwendeten Methoden zu erfahren“, teilt die Agentur am Mittwoch mit. Diese Verfahrensweise entspricht, für sich genommen, sowohl den Vorschriften der Efsa als auch der wissenschaftlichen Redlichkeit. Allerdings ist die Glaubwürdigkeit der Lebensmittelagentur mittlerweile schwer ramponiert. Das liegt auch an mehreren problematischen Personalentscheidungen, die den Verdacht einer ungesunden Nähe zwischen ehemaligen Mitarbeitern der Agentur und Unternehmen aus der Lebensmittelbranche nahelegen.
So war zum Beispiel Suzy Renckens bis Mai 2008 in der Efsa dafür zuständig, die Risken gentechnisch veränderter Pflanzen zu bewerten. Dann wechselte sie schnurstracks in das Lobbybüro des Biotechnologiekonzerns Syngenta, der gentechnisch verändertes Saatgut herstellt. Ihr bisheriger Arbeitgeber, die Efsa, hat das kommentarlos erlaubt. Im April dieses Jahres hat die Behörde eingestanden, dass das ein Fehler war und einen Konflikt mit den Dienstpflichten Renckens' verursacht habe. Konsequenzen hatte das aber nicht.
Monsantos langer Arm
Und auch die Kommission, die das Vorschlagsrecht für den Verwaltungsrat der Efsa hat, legt einen bemerkenswerten Mangel an Fingerspitzengefühl an den Tag. Im heurigen Frühjahr schlug sie die Irin Mella Frewen für solch ein Amt vor. Die Geschäftsführerin des Lobbyverbands „FoodDrinkEurope“ hatte früher jahrelang in Brüssel als EU-Cheflobbyistin für Monsanto gearbeitet. Erst nach lautstarken Protesten von Nichtregierungsorganisationen und einem Aufruhr im Europaparlament beschlossen die Mitgliedstaaten, Frewen nicht in den Efsa-Rat zu entsenden.
Auf einen Blick
Monsanto hat einen neuen genveränderten Mais zur Zulassung in der EU vorgelegt. Zuletzt hatte eine Studie aus Caen bei einem Mais desselben Konzerns eine erhöhte Krebsgefahr festgestellt. Das Saatgut war von der EU-Lebensmittelagentur als unbedenklich beurteilt worden. Nun werden Zweifel an ihrer Unabhängigkeit immer lauter.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2012)