Lampert: „Politiker sind Verantwortungsverweigerer"

(c) Clemens Fabry
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Werner Lampert, der Pionier der biologischen Ernährung, spricht über seine linke Vergangenheit, die konservative Gegenwart und eine Zukunft, die auf „radikaler Solidarität" basieren muss.

Die Presse: Was den ökologischen Anbau anbelangt, gelten Sie als Mann der ersten Stunde. Wann haben Sie das Thema für sich entdeckt?

Werner Lampert: Das war 1967. Ich hatte Rudolf Steiners Lehre der Anthroposophie kennengelernt und kam erstmals mit der biologischen Landwirtschaft in Berührung.


Das war kurz vor dem Revolutionsjahr 1968. Haben Sie sich auch als Revolutionär gefühlt?

Es war eine Zeit des Aufruhrs, und wie jeder anständige Mensch damals war auch ich vollkommen links. Was mir allerdings wahnsinnig auf die Nerven gegangen ist, war die Verächtlichmachung der Religion und die Verteufelung von Gott, die in jeder linken Diskussion angesagt war. Die Schriften von Rudolf Steiner waren daher eine Offenbarung für mich: Ich erfuhr, dass es möglich ist, die gesellschaftliche Veränderung mit einem geistigen Gehalt zu versöhnen. Ich musste meinen Glauben nicht ablegen und konnte ihn weiterleben.


Also sind Sie ein Paradebeispiel für das Bonmot „Wer in seiner Jugend nicht links ist, hat kein Herz, und wer im Alter nicht konservativ ist, hat kein Hirn"?

Ich habe unlängst mit meiner Frau darüber gesprochen - es trifft hundertprozentig auf mich zu.


Und wo würden Sie heute, 45 Jahre nach 1967, Ihre politische Heimat sehen?

Heute empfinde ich mich als konservativ. Und wie jeder echte Konservative bin ich total unzufrieden mit dem vorhandenen Angebot. Wer heute konservativ ist, muss sich für den Wandel einsetzen.


Womit wir beim nächsten Zitat wären, dieses Mal aus Giuseppe di Lampedusas Roman „Il Gattopardo": „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist."

Na ja, damit kann ich nicht so viel anfangen. Ich möchte nicht, dass alles so bleibt, wie es ist! Ich bin überzeugt, dass wir nur dann eine Chance haben, wenn wir uns hin zu einer radikal solidarischen Gesellschaft entwickeln.


Die von Ihnen angesprochene Solidarität und die Idee der Selbstverantwortung, die im konservativen Gedankengut verankert ist, lassen sich im gegenwärtigen politischen Diskurs kaum auf einen Nenner bringen. Viele Politiker scheinen ihre Wähler als eine unmündige, beliebig formbare Knetmasse zu betrachten.

Zwei Phänomene zeichnen heutzutage die Politik aus: einerseits die Interessenvertretung und anderseits das Spiel mit Ängsten. Was einen Politiker auszeichnen sollte - der Gestaltungswille und die Fähigkeit zur Analyse -, ist nicht mehr vorhanden. Das ist leider verloren gegangen.


Es gibt noch ein drittes Phänomen - die Kurzlebigkeit der politischen Zyklen. Überspitzt formuliert: Wer dauernd gehetzt wird, hat keine Zeit, ein Visionär zu sein.

Aber er muss in der Lage sein zu analysieren. Oder sich zumindest mit Menschen umgeben, die das können. Sind Politiker gehetzt? Das weiß ich nicht. Ich denke aber, dass sie Verantwortungsverweigerer sind.


Ist das Prinzip oder Betriebsunfall? Werden diese Verantwortungsverweigerer zufällig in die Politik gespült?

Ich glaube, das passiert im Konsens mit den Wählern, die keine Verantwortung übernehmen wollen und folglich auch niemanden wählen, der mit Verantwortung ernsthaft umgeht. Verantwortung ist heutzutage kein Thema, es geht um die Mehrung des eigenen Vermögens, um die sichere Pension.


Das klingt nach dem Verhalten eines Kindes.

In einem gewissen Ausmaß erleben wir die Infantilisierung der Gesellschaft - und damit auch der Politik.


Aus diesem Blickwinkel lässt sich die globale Finanzkrise auch als eine Krise der Verantwortung betrachten: Banken gingen unverantwortlich mit dem ihnen anvertrauten Geld um, Konsumenten und Staaten machten unverantwortlich Schulden. Taugt die Verantwortungslosigkeit als Erklärung für alles Übel?

Wir haben uns einreden lassen, dass Werte, die lange Zeit gegolten hatten, sozialistische Reflexe waren und wir den Neoliberalismus brauchen - und mit ihm neue Werte wie Gier, Rücksichtslosigkeit, den Konkurrenzkampf bis zum bitteren Ende. Nur die Konsequenz dieser neuen Werte wollen wir nicht tragen. Und deshalb sind wir jetzt sauer: Unsere Mitmenschen sind schlecht, die da oben sind schlecht, alles ist schlecht.


Auch das zeichnet ein Kind aus: Es weiß nicht, dass es für sein Handeln verantwortlich ist.

Nein, Verantwortung mögen wir überhaupt nicht.


Angesichts dieser Diagnose: Halten Sie unsere Gesellschaft überhaupt für zurechnungsfähig?

Nur wer zurechnungsfähig ist, ist auch fähig zur Verantwortung. Vermutlich müsste man deshalb von einer verminderten Zurechnungsfähigkeit sprechen.


Gehen wir zurück zum Ursprung des Gesprächs, also zur Biolandwirtschaft: Ihre Branche arbeitet seit jeher mit Bildern eines imaginären ländlichen Idylls, um dem Verbraucher ökologische Lebensmittel schmackhaft zu machen. Ist diese Landschaftsmalerei heute noch notwendig?

Historisch betrachtet war der Bauernhof immer ein verheißungsvoller Ort. Das ist unser Erbe, dafür sind wir heute noch leicht empfänglich. Auf der anderen Seite muss man allerdings schon feststellen, dass im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft die ökologische Landwirtschaft immer noch idyllisch ist.

Der Durchschnittskonsument glaubt allerdings, dass die industrielle Landwirtschaft das Maß aller Dinge ist und der Biobauer ein Novum.

Dieser Bruch ist Ende des 19. Jahrhunderts eingetreten und hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts vertieft. Es ist eine hoch subventionierte Sackgasse. Wir alle wissen, dass uns diese Landwirtschaft in 30, 40 Jahren nicht mehr wird ernähren können. Und da sind wir wieder zurück bei der bereits angesprochenen Verantwortung: Dem Bauern muss künftig klar sein, dass er nicht für eine anonyme Masse produziert, sondern für konkrete Menschen, für deren Wohlergehen er verantwortlich ist. Uns Konsumenten wiederum muss klar sein, dass wir nur dann vom Bauern diese Verantwortung einfordern können, wenn wir im Gegenzug gewährleisten, dass er seinen Hof ökonomisch betreiben kann. Zu diesem Verhältnis müssen wir kommen, das ist meine Bemühung.


Haben Sie nicht die Sorge, dass Sie damit viele Verbraucher überfordern? Ihr Alltag ist auch ohne Provenienzforschung in der Gemüseabteilung des Supermarkts anstrengend genug.

Genau deshalb möchte ich nicht mit einem großen theoretischen Gerüst daherkommen, sondern mit Produkten des täglichen Gebrauchs. So lässt sich üben, wie gegenseitige Verantwortung funktionieren könnte. Mit einem großen Wurf wäre das nicht möglich, wir müssen da in kleinen Schritten denken.


Ökologische Ernährung steht oft stellvertretend für einen umfassenden, emotional aufgeladenen Lebensentwurf. Die jüngste Studie aus den USA, der zufolge Biolebensmittel nicht mehr Vitamine enthalten als ihre konventionellen Pendants, ist von Bioskeptikern mit Freudengeheul begrüßt worden. Woher kommt diese Emotion?

Zunächst einmal ein Satz zur Studie: Derartige Sachen muss man immer mit Vorsicht betrachten, da geht es auch um Herrschaftsverhältnisse. Die Biobewegung ist schließlich die größte Widerstandsgruppe gegen Gentechnik in der Landwirtschaft, deshalb muss sie vernadert werden. Und warum diese Resonanz? Nun ja, wir lieben doch die schlechte Nachricht. Aber das darf man nicht so ernst nehmen. Nur die biologische Landwirtschaft in Verbindung mit authentisch regionalem Charakter wird uns in Zukunft ernähren können.


Aber wird da nicht manchmal der Bogen überspannt? Wenn eines schönen Tages jede Familie am Wochenende mit dem Auto aufs Land fahren wird, um sich ihr Biokisterl abzuholen, wird das für die CO2-Bilanz verheerend sein.

Das wird glücklicherweise nie passieren. Die Produkte des täglichen Bedarfs muss man in seiner unmittelbaren Umgebung haben. Die Idee des Biokisterls finde ich wunderbar, sie funktioniert aber nur im Umfeld einer größeren Stadt und ist eine sehr gute Ergänzung zu dem, was ich mache.


Nochmals zurück zum ländlichen Idyll und seiner Vermarktung: Geht Ihnen das sprechende Ferkel aus der Ja!Natürlich-Fernsehwerbung nicht auch schon auf die Nerven?

Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass wir mit konstruierten Lebenswelten niemanden überzeugen werden. Wir können nur mit inhaltlicher Arbeit bestehen.


Aber die Kampagne ist doch erfolgreich?

Sie bindet auf jeden Fall die erste Emotion. Aber ob sie dann auch tatsächlich zu einer Kaufentscheidung führt, weiß ich nicht.


Also doch kein hundertprozentiger Ferkel-Fan?

Eines meiner ersten landwirtschaftlichen Projekte hatte mit frei lebenden Schweinen zu tun. Es war grandios, ihnen zuzuschauen, sie hatten so viel Witz und Emotion. Schweine sind schon toll.

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