Protest: "Korruption ist in Tschechien einfach überall"

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In Tschechien macht der Regisseur Petr Sourek mit Stadtführungen auf die Korruption im Land aufmerksam. Jeweils zwei Stunden dauern die Touren. Nun will er das Projekt auch nach Österreich bringen.

Wien. Philipp steht vor einem Haus im Norden von Prag und blickt ernst. Mit theatralischer Stimme erzählt er die Geschichte zweier Bewohner, Mirek und Marek, Freunde seit vielen Jahren, keiner machte ohne den anderen irgendetwas. Schon gar keine Geschäfte.

Die Leute vor Philipp blicken neugierig. Sie sind sich nicht sicher, ob sie lachen oder sich ärgern sollen, wenn Philipp von den korrupten Vorgängen im Land erzählt. Etwa von Marek Dalík, dem Vertrauten des tschechischen Ex-Ministerpräsidenten Mirek Topolánek. Dalík soll laut Ex-Mitarbeitern der Firma Steyr-Daimler-Puch 18 Millionen Euro Schmiergeld für den Kauf von österreichischen Panzerwagen verlangt haben.

Seit gut einem Jahr führt die tschechische Corrupt-Tour Tschechen und Touristen aus der ganzen Welt durch Prag. Hauptattraktion sind dabei nicht bekannte Sehenswürdigkeiten, sondern Orte, an denen Korruption stattgefunden hat. Jeweils zwei Stunden dauern die Touren, die sowohl in Prag als auch im nordtschechischen Aussig, in Brünn oder in Karlsbad angeboten werden.

In Prag geht die Tour etwa zum großen Blanka-Tunnel, der den Kostenplan um fast fünfzig Prozent überschritten hat, behandelt weiter die gezinkte Vergabe eines millionenschweren staatlichen Software-Auftrags und erzählt von der Verhaftung des Ex-Gesundheitsministers David Rath, der mit sieben Millionen Kronen – vermutlich Schmiergeld, versteckt in einer Weinkiste – aufgegriffen wurde. „Viele tschechische Politiker wollten zwar die Korruption im Land bekämpfen, nicht aber, wenn sie selbst betroffen sind“, sagt Philipp lächelnd. Schallendes Gelächter seitens der Zuhörer. So viel Korruption kann man nur mit Witz nehmen, wird ein junger Mann später sagen.

Gegründet hat Corrupt-Tour der tschechische Regisseur und Dramaturg Petr Sourek, ein junger Mann in Bügelfaltenhose und Aktentasche. „Korruption ist in Tschechien überall. Das Thema ist einfach Zeitgeist in diesem Land“, erzählt er in fließendem Deutsch. Es hat ihn geärgert, dass zwar viele Korruptionsfälle im Land bekannt waren, es aber trotzdem keine strafrechtlichen Verfolgungen gab. Das ging so weit, dass in den Medien vom „angeblichen Verdacht“ geschrieben wurde. Mit der Corrupt-Tour will er jetzt gegen „die Angst, den Bürgern etwas zu erzählen“, vorgehen. Die Texte für die Touren hat Sourek selbst geschrieben. Sie basieren auf veröffentlichten Daten und Artikeln (man wolle ja nicht verklagt werden) und sind durch und durch ironisch.

Proteste gegen Korruption

Die Corrupt-Tour ist damit ein Teil einer Bewegung, die in den vergangenen zwei Jahren in Tschechien stetig gewachsen ist. Immer mehr junge Tschechen wollen sich mit den korrupten Vorgängen im Land nicht mehr abfinden. Da sie das Vertrauen in Politiker, Polizei und Justiz verloren haben, beginnen sie nun selbst Antikorruptionsprojekte durchzuführen. Meistens mithilfe des Internets, stark vernetzt auf Plattformen wie Facebook und Twitter.

Zu den bekanntesten zählt etwa bezkorupce.cz, zu Deutsch „Ohne Korruption“. Die NGO wollte sich für alternativen Stadtverkehr einsetzen, bringt aber mittlerweile Transparenz in öffentliche Ausschreibungen und versucht, undurchsichtige Firmenstrukturen aufzuklären. Die Plattform kohovolit.eu liefert Statistiken über das Abstimmverhalten von tschechischen Politikern im Parlament. Hinzu kommen zahlreiche Bürgerinitiativen auf lokaler Ebene.

Zu kämpfen gibt es genug. Transparency International zählt Tschechien mit Platz 57 zu einem der korruptesten Länder Europas. Neun tschechische Minister musste im vergangenen Jahr wegen Befangenheit oder Korruptionsaffären zurücktreten. Im September startete in Prag ein Mammutprozess gegen 52 Angeklagte, die Armeeaufträge zur Kasernenrenovierung manipuliert haben sollen. Und erst gestern hat die Polizei den stellvertretenden Arbeitsminister Vladimir Siska und einen Abteilungsleiter des Ministeriums direkt im Gebäude der Behörde verhaftet. Beiden wird Bestechung bei einem öffentlichen Auftrag vorgeworfen.

Demokratie will gelernt sein

Doch anders, als man meinen könnte, geht noch immer ein Großteil der tschechischen Bevölkerung wegen solcher Fälle nicht zum Protestieren auf die Straße. „Die Gesellschaft hier ist noch furchtbar unreif“, sagt Jiří Pehe, bekannter Politologe in Tschechien und ehemaliger politischer Berater von Václav Havel. Für ihn liegt der Ursprung der Korruption in der Übergangsphase nach dem Kommunismus, in der Besitztümer im Wert von hunderten Millionen in relativ kurzer Zeit verkauft wurden. Viele Deals kamen nur zustande, weil die Politik davon profitiert hat. Politik in Tschechien ohne Korruption ist für ihn daher gar nicht möglich. „Politik ist in Tschechien eine Möglichkeit, um Geld zu verdienen“, sagt Pehe.

„Wir werden euch finden“

Das Desinteresse an den politischen Vorgängen im Land ist auch bei den Touren von Petr Sourek zu bemerken. Nur die Hälfte der Besucher sind Tschechen. Der Rest kommt aus dem Ausland, viele aus Deutschland und Österreich. Vielleicht wollen manche Tschechen aber nur Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen. Eine der Touren führt zu den Villen von stadtbekannten Lobbyisten. Und die finden das gar nicht lustig, wenn eine Gruppe Fremder vor ihrem Haus steht und Fotos macht. „Einige haben uns schon gebeten, nicht mehr zu kommen. Andere kommen raus und beschimpfen uns. Sie sagen: ,Wir werden euch finden‘“, sagt Pavel ein Mitstreiter Soureks und grinst. Er findet diese Reaktionen nur komisch. Ans Aufhören denkt er nicht. Passiert sei weder den Besuchern noch den Mitarbeitern etwas.

Dafür planen Sourek und Pavel zu expandieren. Nach Italien und nach Österreich. Angeregt durch die österreichische Korruptionsaffären (Stichwort U-Ausschuss) soll es bald die ersten Führungen in Wien geben. Wo die Strecke genau verlaufen wird, das wollen die beiden noch nicht sagen. Probleme, etwas zu finden, haben sie wohl nicht. Mireks und Mareks, die gibt es schließlich überall.

Auf einen Blick

Corrupt-Tour. In Tschechien machen junge Menschen mit Stadtführungen auf die Korruption im Land aufmerksam. Die Touren werden auf Englisch, Deutsch und Tschechisch durchgeführt. Anmeldung erforderlich, Infos unter www.corrupttour.com.

Dieser Artikel entstand im Rahmen von „Eurotours 12“, einem Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Mitteln der EU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2012)

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