Der öffentlich-rechtliche Sender hat einen Bericht über die Vorwürfe zurückgehalten. Jetzt berichtete die Konkurrenz.
Gerüchte, sagen BBC-Insider nun, habe es gegeben: Dass Jimmy Savile, einer der populärsten Unterhaltungsmoderatoren des Senders, eine Vorliebe für sehr junge Mädchen habe. Dass die schrille Figur mit weißblonder Mähne, Ballonseide-Trainingsanzügen und Zigarre im Mund seinen Job als Präsentator der Teenie-Sendung „Top of the Pops“ in den 1960ern und 70ern ausgenutzt habe, um an Opfer heranzukommen. Und dass der Spitzname seiner Kultshow „Jim'll fix it“, in der er vor allem Kindern Herzenswünsche erfüllt wurden, nicht grundlos „Jim'll fuck it“ war. Diese Woche musste die BBC nun widerwillig offiziell Stellung nehmen – denn aus den Gerüchten um Savile, der 2011 kurz vor seinem 85. Geburtstag starb, sind handfeste Anschuldigungen geworden: In einer Dokumentation des BBC-Konkurrenten ITV beschrieben Frauen, wie sie als Minderjährige von Savile in der BBC-Garderobe befummelt, zu sexuellen Akten gezwungen, vergewaltigt wurden. Zwei Exproduzenten erzählten, wie sie Savile in flagranti erwischten – und sich nicht getrauten, es Vorgesetzten zu melden. Die Polizei hat inzwischen die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Ein Wohltäter, von der Queen geadelt
Für die BBC sind die Enthüllungen äußerst peinlich. Sie scheute sich, am Image des vorgeblichen Wohltäters zu kratzen: Savile sammelte 40Mio. Pfund für gute Zwecke und wurde 1990 von der Queen geadelt. Im Dezember 2011 hatte die BBC-„Newsnight“ über die Anschuldigungen berichten wollen – doch der Beitrag wurde in letzter Minute gestrichen. Der leitende Redakteur, Peter Rippon, verteidigt das: Im Bericht habe es gar nicht um die Vorwürfe an sich gehen sollen, sondern darum, ob die Polizei die Anzeige einer Betroffenen ausreichend untersucht habe. Man habe keinen Anhaltspunkt für ein Fehlverhalten der Behörden gefunden. Auch könne sich Savile nicht mehr verteidigen, die Enthüllungen seien nicht mehr im öffentlichen Interesse.
Nicht einmal alle BBC-Kollegen überzeugt das: „Media Show“-Moderator Steve Hewlett erklärte on air, die Öffentlichkeit würde sich bei solchen „Haarspaltereien“ wohl „am Kopf kratzen“. Schließlich gäbe es den Verdacht, der Sender habe den Beitrag zurückgehalten, um sich eine peinliche und schwierige Situation zu ersparen: Die BBC hatte fürs Weihnachtsprogramm eine Sendung zu posthumen Ehren ihres Stars geplant. Die BBC-Leitung weist den Vorwurf der Einflussnahme zurück. Allein der Versuch, so der Leiter der Abteilung für Redaktionsrichtlinien, David Jordan, würde die Mitarbeiter nur animieren, noch intensiver am Thema zu bleiben. Im Fall Savile kam ihnen nun die Konkurrenz zuvor.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2012)