Die schlichte Form ist stark im Trend. Nicht nur das Design, auch die Energieeffizienz und die Möglichkeit des modulhaften Wohnens finden immer mehr Fans.
Würfel, in luftiger Höhe, 1975: Was der niederländische Architekt Piet Blom in Helmond vor knapp 40 Jahren präsentierte, überraschte die Welt – und setzte einen neuen Impuls, der bis heute nachwirkt. Seine Kubushäuser der besonderen Art waren auf sechseckigen Stahlbetonsäulen aufgesetzt, die auf einer Ecke stehenden Baukörper mit exakt 7,5 Meter Kantenlänge thronten über der Landschaft. Während die Säulen wie Stämme der vertikalen Erschließung dienten, waren die Wohneinheiten als Baumkrone konzipiert. 1985 folgten weitere 51 kubische „Baumhäuser“ in Rotterdam, die bis heute als Attraktion für Architekturtouristen gelten.
Der Hang zum Ordnen
Inzwischen sind kubusförmige Bauten wieder am Boden angekommen. Flach aufsitzende Würfel zu ebener Erde, bei denen die strenge Geometrie zugunsten ungleicher Kantenlängen und verschachtelter Formen von Rechteckkörpern aufgeweicht wurde, liegen im Trend wie nie zuvor. „Der Kubus spiegelt einen Hang zum Ordnen, Systematisieren und zur Klarheit wider. Der Drang zum Zeitlosen, Klassischen ist ein weiterer Aspekt, der viele Architekten antreiben mag, sich vermehrt schlichten, unaufgeregten Bauformen zu widmen“, erklärt der deutsche Architekt Michael Hümmeler, der sich seit dem Jahr 2000 intensiv mit Wohnhäusern in Kubusform beschäftigt. „Mich persönlich reizt das Herangehen an einen Kubus in der Art eines Bildhauers: Die Außenform ist durch Gegebenheiten des Grundstücks, der beabsichtigten Nutzung und des Baurechts streng definiert. Es wird lediglich aus der Form herausgearbeitet, Schichten werden freigelegt und aufgezeigt, nichts wird hinzugefügt“, erläutert Hümmeler seine Motivation. Die Hülle bestimmt den geometrischen Raum und erweist sich als harte Schutzschale zur Außenwelt. Durch Aufbrüche und Ausnehmungen wird das Innere sichtbar. „Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Mantelfläche und Volumen ist der Kubus auch eine energetisch günstige Bauform. Er besitzt eine relativ geringe, energieabgebende Mantelfläche in Relation zu einem relativ hohen Nutzvolumen“, betont Hümmeler einen Aspekt, dem in Zeiten des „Energiepickerls“ besondere Bedeutung zukommt.
„Das bei kubischen Bauformen ausgezeichnete Oberflächen-Volums-Verhältnis und die leichte Ausrichtbarkeit nach der Sonne wirken sich positiv auf die Energieeffizienz eines Hauses aus“, streicht auch Robert Knödlstorfer hervor. Für den Geschäftsführer von Freigeist Haus sind es zudem die Vorteile bezüglich Wohnqualität und Bauzeit, welche die steigende Kundennachfrage erklären: „Im Gegensatz zu anderen Dachformen ist bei einer kubischen Architektur mit Flachdach auch das Obergeschoß zu hundert Prozent nutzbar. Ein weiteres Plus stellt die Flexibilität bei der Größenwahl des Erd- und Obergeschoßes dar. Mit einer Kubusform ist es statisch leichter, die obere Ebene größer als die untere zu planen.“ Außerdem eigne sich die einfache, geradlinige Bauform des Kubus besonders gut für die Fertighausbauweise, bei der die Bauelemente in witterungsunabhängigen Werkshallen vorgefertigt werden. Was zu von Bauherren geschätzten kürzeren Bauzeiten führt.
Spiel mit den Flächen
Die Flachdächer können freilich auch zur Problemzone werden, wie Martina Frühwirth vom Architekturzentrum Wien zu bedenken gibt: „Bei nicht korrekt ausgeführten Arbeiten kann es zur Ansammlung von Regenmengen kommen. Schnee wird ebenfalls zur Belastungsprobe.“ Bei Neigungen von weniger als drei Grad sei mit Pfützenbildung zu rechnen, was zu Schäden an der Substanz – Stichwort Schimmel – führen kann. „Dass diese Herausforderungen allerdings kein Hindernis sind, Holzhäuser mit Flachdächern auszustatten, zeigt die Dichte von ,Boxen‘ und ,Schachteln‘, die im Westen Österreichs in schneereichen Regionen gebaut wurden. Im Vorarlberger Dorfbild wurde das flache Dach mittlerweile ebenbürtiger Partner historischer Dachformen“, fügt Frühwirth hinzu und zählt beispielhaft Architektenbüros mit Schwerpunkt Westösterreich auf, die gern Kuben bauen: „Holzbox ZT, Johannes Kaufmann, LP Architektur, Daniel Sauter – um nur einige zu nennen.“ Immer extravagantere Spielformen entkräften dabei das Kritikerargument der Eintönigkeit. Zu den Highlights der vergangenen Jahre ist etwa das Dra-Einfamilienhaus der Querkraft-Architekten zu zählen. Das zweigeschoßige Gebäude wurde aus dem Hang herausgearbeitet und scheint mit zwei Dritteln seiner Grundfläche über dem Boden zu schweben. Einen ungewöhnlichen Blickfang stellt auch das Wiener Haus H von Riepl Kaufmann Bammer dar. Eine hinterlüftete Holzlattenfassade erzeugt ein Spiel zwischen offen und geschlossen, hell und dunkel, Schatten und Spiegelung. „Die Kunst“, so Hümmeler, „besteht darin, mit der einfachen Bauform kreativ umzugehen.“
WEITERE INFORMATIONEN UNTER
www.kubuswoning.nl; www.huemmeler-architekten.de
www.freigeist-haus.at; www.querkraft.at
www.rieplkaufmannbammer.at; www.azw.at
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2012)