Kein Platz (mehr) für die Männer?

Kein Platz mehr fuer
Kein Platz mehr fuer(c) BilderBox - Erwin Wodicka (BilderBox.com)
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Das Buch "Der falsche Feind" spricht den Siegeszug der Frauen an: Sie durchdringen alle Bereiche, die Männer werden verdrängt. Die haben schon resigniert und ziehen sich zurück.

Sehen Sie sich in Ihrem Bekanntenkreis um, oder befragen Sie Ihre Freunde: Wie viele Möbelstücke oder Gegenstände in der gemeinsamen Familienwohnung gehören dem Mann? Nicht weil er sie bezahlt hat, sondern weil er sie allein benützen darf. Von einem eigenen Raum wollen wir gar nicht erst reden, denn die Zeiten des „Herrenzimmers“ sind auch in Bürgerhäusern längst vorbei.

Heute gehört die Wohnung der Frau. Obwohl jedes Kind Anspruch auf ein eigenes Zimmer hat, kann der Mann oft nicht einmal eine Ecke für sich allein nutzen; da gibt es keinen fixen Platz am Tisch, oft nicht einmal einen Fernsehsessel. Weder der Computer noch die Stereoanlage steht ihm allein zur Verfügung, denn Frauen und Kinder haben das gesamte Territorium erobert. Die Frau hat gern die Küche mit ihm geteilt, dafür jedoch alle seine ursprünglichen Bereiche in Besitz genommen. Um irgendwo ungestört zu sein, legen sich manche Männer ein Hobby zu, das sie in der Werkstatt, dem Keller oder der Garage ausüben können, anderen bleibt nur das Fitnesscenter mit einem persönlichen Spind oder der Stammtisch mit dem eingeritzten Namen [...].

Im Dienst der Familie. Nach und nach geben Männer ihre Freunde auf, den Sport und ihre Hobbys und stellen sich in den Dienst der Familie. Sie haben eingesehen, dass eben, wenn sie 50 Stunden pro Woche im Job sind und zu Hause die Hälfte der Arbeit machen sollen, keine Zeit mehr für persönliche Extravaganzen bleibt. Und schließlich wären ja die Frauen die Ärmeren mit ihrer Doppelbelastung – da müsse man jetzt schon einmal zurückstecken.

Frauen haben hingegen auf dem Weg zur Gleichberechtigung rasch gelernt, dass sie auch Freiräume für sich selbst brauchen. Sie nehmen sich Zeit für ihre Freundinnen, für den Yogakurs, das Sonnenstudio. Während diese Ansprüche inzwischen selbstverständlich und zum Dauerbrenner jedes Frauenmagazins geworden sind, müssen Männer ihre Bedürfnisse ständig rechtfertigen. Die Arbeitskraft der Männer, ihre Zeit, ihre Gedanken und Gefühle gehören der Frau. „Was denkst du gerade? Warum schaust du so seltsam? Was ist los mit dir? Willst du darüber reden? Warum hörst du mir nicht zu?“ Der weibliche Psychoterror ist kreativ. Und es gibt kein Entrinnen mehr – nahezu alle Fluchtwege wurden geschlossen. Entspannung auf dem Fußballplatz? Leider nein! Frauen haben inzwischen begriffen, was eine Abseitsfalle ist, sie reden mit, gehen mit oder sie gehen allein hin. Aus mit Grölen und Grunzen [...].

Der weltweite Siegeszug der Frauen ist ungebrochen: Staatspräsidentinnen, Weltraum- und Rennfahrerinnen, Soldatinnen, Kampfjetpilotinnen, Atomphysikerinnen, Dirigentinnen. Auch wenn sie zahlenmäßig noch in der Minderzahl sind, so ist der Trend nicht aufzuhalten. Und wo sind die letzten Bastionen der Männer? Lediglich die großen Weltreligionen sind noch weitgehend frauenfrei. Bis vor Kurzem waren Frauen nur als Gläubige und für Hilfsdienste zugelassen. Nur in der evangelischen Kirche können Frauen Pastorin und Bischöfin werden, und in liberalen jüdischen Gemeinden gibt es bereits Rabbinerinnen. Bei den Hindus und Buddhisten sowie im Islam bleiben die Männer in ihren Ämtern noch unter sich. In der katholischen Kirche hat die Diskussion um die Zulassung von Frauen zum Priesteramt in letzter Zeit an Schärfe zugelegt. Offensichtlich geht es nicht an, dass Männer einen Bereich noch für sich allein beanspruchen (und mit dem Zölibat die Abgrenzung gegenüber den Frauen besonders deutlich machen).

Frauenpolitikerinnen und -initiativen schreiben diese Öffnung der Männerbereiche zu Recht als Erfolg auf ihre Fahnen. Sie haben lange genug im Sinne der Gleichstellung um den Zugang gekämpft. Fast alle Rückzugs- und Herrschaftsgebiete, die von Männern allein besetzt waren, wurden aufgebrochen – ihre eigenen Freiräume haben Frauen jedoch nicht aufgegeben, sie haben vielmehr die „männerfreien Zonen“ noch ausgebaut. Einrichtungen „nur für Frauen“ erhalten staatliche Förderungen; die EU hat einen Schwerpunkt dazu ausgerufen. Frauennetzwerke dürfen weiter unter sich bleiben, in der Bahn wurden Frauenabteile geschaffen; es besteht Exklusivität in Bildungseinrichtungen und Kursen, weil Frauen sonst beim Lernen zu gehemmt wären; Frauenreisen, Frauencafés erleben ungebrochene Anerkennung. Selbst im Buchhandel findet man zwar eine Abteilung für „Frauenliteratur“, jedoch keinen Bereich für „Männerliteratur“.

Das weibliche Geschlecht hat durchaus erkannt, dass es Vorteile bringt, unter sich zu sein, und verteidigt dieses Recht mit Zähnen und lackierten Fingernägeln. Erst der Austausch unter Frauen brächte die notwendige Unterstützung, nur unter ihresgleichen könne „frau“ sich öffnen und ihre Themen reflektieren. Kaum würden Männer auf den Plan treten, wäre die Gemeinschaft empfindlich gestört, denn sie denken anders, reden anders und bringen sexuelle Unruhe unter das Frauenvolk.

So weit, so gut – aber warum sollte dieses Prinzip denn nur für Frauen gelten? Behaupten nicht Männer genau das, wenn sie unter sich sein wollen? Auch Frauen bringen Unruhe in Männerkreise. Warum sollten nicht auch Männer ihr Recht auf frauenfreie Zonen einfordern? Aber bei ihnen zählt das Argument nicht, sie sollten sich gefälligst neu orientieren und beherrschen lernen. Doch der Stress ist tatsächlich in gleichgeschlechtlichen Gruppen geringer als in gemischten, obwohl es auch in diesen Konkurrenz, Neid und Kampf gibt – aber es gibt auch viel Unterstützung, Austausch, Spaß und Entspannung, wenn Frauen und Männer jeweils unter ihresgleichen sind [...].

Früher war es einfacher, getrennte Wege zu gehen. Es gab in allen Kulturen separate Bereiche für beide Geschlechter, weil beide offensichtlich Rückzugsgebiete brauchen, um ihre Identität zu stärken – und sich vom anderen zu erholen; aber auch, um füreinander erotisch interessant zu bleiben, wie die umstrittene Autorin Camille Paglia („Die Masken der Sexualität“) aufzeigt. Man begegnete einander zu festgelegten Zwecken wie Nahrungsaufnahme, Sex und öffentlicher Repräsentation. Das Eindringen des anderen in die eigene Domäne war nicht vorgesehen.

Heute sollen Männer und Frauen in allen Bereichen gemeinsam auftreten: um Geld zu verdienen, Politik zu machen, zu kochen, Kinder zu erziehen und für das Seelenheil zu sorgen. Vielleicht erklärt das auch einen Zusammenhang von ständig verfügbarer Sexualität und dem erhöhten Bedarf an Potenzmitteln?

Doch keine Partei, keine Männerinitiative oder Facebook-Gruppe würde es wagen, im Sinne der Gleichberechtigung einzufordern, dass es auch Bereiche geben müsste, die ausschließlich Männern vorbehalten sein sollen – oder aber dass die Frauenterritorien gleichermaßen für Männer geöffnet werden müssten. Umgehend wären sie mit dem Verdacht der Unterdrückung und Ausgrenzung von Frauen konfrontiert. Männer stehen rund um die Uhr im Schaufenster, zur allgemeinen Beobachtung freigegeben, wie Wildtiere in veralteten Zooanlagen, die ohne Rückzugsmöglichkeiten ständig vor Besuchern posieren müssen. Die Tiere werden davon bekanntlich krank und verhaltensgestört, denn Lebewesen, die keinen „Schonraum“ haben, die immer unter Beurteilungs- und Leistungsdruck stehen, geraten unter hohen Sozialstress – dies gilt auch für Männer.

Wie sehr der Mensch an seine genetische Grunddisposition gebunden ist, hat die Wissenschaft noch nicht geklärt: Die Renaissance des Biologismus macht uns wenig Hoffnung auf Veränderungsmöglichkeiten, denn alles sei weitgehend durch die Gene festgelegt. Psychologie und Feminismus lassen uns eher an Flexibilität glauben und dass im Grunde alles möglich wäre. Wie auch immer: Offensichtlich ist, dass wir weitgehend in der Lage sind, unser Verhalten zu reflektieren und durch Kultivierung an die jeweils vorhandenen Gegebenheiten anzupassen. Sonst säßen wir heute noch auf den Bäumen und eine Entwicklung der Zivilisation hätte nie stattgefunden. Anpassungsleistungen sind möglich, kosten jedoch viel Kraft und Zeit: Man muss sich mehr kontrollieren, Prioritäten richtig setzen, Selbstdisziplin im Verhalten und in der Sprache üben [...].


Männer resignieren. Und weil die „neuen Männer“ mit ihren Strategien nicht erfolgreich waren – weder sexuell noch finanziell –, scheinen sie resigniert zu haben. Sie sind inzwischen offensichtlich auch selbst von ihrer Schuld überzeugt und scheinen bereit zu sein, für alles Übel, das sie angeblich im Laufe der Geschichte angerichtet haben, ihre gerechte Strafe in sozialer und emotionaler Isolationshaft zu verbüßen. Doch dass die Männer sich aus so vielen Bereichen der Gesellschaft bereits zurückgezogen haben, dringt noch gar nicht in das allgemeine Bewusstsein vor. Die Frauen starren wie das Kaninchen vor der Schlange auf die wenigen Männer, die noch an der Spitze ihren Platz behaupten und es angeblich auf ihre Benachteiligung angelegt haben.

zur Autorin

Christine Bauer-Jelinek
wurde 1952 in Wien geboren. Sie ist Sachbuchautorin, Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin. Außerdem ist sie Leiterin des Instituts für Macht-Kompetenz in Wien sowie Referentin am Wifi Management Forum und an der Donauuniversität Krems.
Internet

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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