Demonstration: Der Kindergartenwahnsinn

Demonstration Kindergartenwahnsinn
Demonstration Kindergartenwahnsinn(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Österreichs Kindergartenpädagoginnen gehen auf die Straße, um gegen ihre Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Schon seit Jahren sind die prekären Arbeitsverhältnisse in Kindergärten und -tagesheimstätten bekannt.

Sie haben sich gründlich darauf vorbereitet. Als die Gewerkschaft am Samstag Nachmittag eine Demonstration gegen die prekären Arbeitsbedingungen von Kindergärtnerinnen abgehalten hat, war schon von Weitem ein Kartenhaus auf dem Minoritenplatz in Wien zu sehen. Das drei Meter hohe symbolische Gebilde sollte die schlechten Rahmenbedingungen, unter denen die Kindergartenpädagoginnen arbeiten müssen, symbolisieren. Mehrere hundert Frauen, Kinder und einige wenige Männer standen deswegen in orangefarbenen Warnwesten mit Protestaufschrift vor dem Bildungsministerium. Es ist bereits die zweite Demonstration innerhalb eines halben Jahres.

Im Kindergarten-Sektor geht es rund. Was weiter nichts Neues ist. Schon seit Jahren sind die prekären Arbeitsverhältnisse der rund 50.000 Mitarbeiterinnen von Kindergärten und -tagesheimstätten bekannt. Interessant ist aber, dass bis heute niemand die politische Verantwortung dafür übernehmen will. Weil die Kindergärten Länder- und Gemeindesache sind, gibt es einen undurchsichtigen „Fleckerlteppich“ aus verschiedenen Regelungen, Gehaltsschemata und Rahmenbedingungen. Das macht eine nationale Qualitätssicherung schwierig.

Experten fordern daher immer wieder, dass der Bund die Kompetenz für die Kindergärten erhält. Die Chancen dafür stehen jedoch schlecht: Die Länder wollen den Aufgabenbereich nicht abgeben, und in der Bundespolitik interessiert sich niemand ernsthaft für die Einrichtungen.

Dabei werden die Probleme in den Kindergärten nicht weniger. Seit Jahren stehen etwa der Betreuungsschlüssel und das Gehalt ganz oben auf der Beschwerdeliste. „Das ist bei vielen Kindergartenpädagoginnen unter dem Matura-Niveau“, sagt Raphaela Keller vom Dachverband der Berufsgruppen der Österreichischen Kindergarten- und HortpädagogInnen. Auch von Einheitlichkeit ist keine Rede. In Österreich ist das Gehalt der Kindergärtnerinnen in 60 verschiedene Schemata gefasst.

Sparen am falschen Eck. Ebenso unterschiedlich ist die Betreuung der Kinder geregelt. In Wien etwa müssen laut Gesetz ein Pädagoge und eine halbe Stützkraft 25 Kinder betreuen. In der Praxis bedeutet das, dass die Kindergärtnerin oft allein in der Gruppe steht und gerade noch ihre Beaufsichtigungspflicht erfüllen kann. Was bei zwei Dutzend Kindern ohnehin schon schwierig sei, auch wenn gerade kein Streit geschlichtet und keine Zeichnung geklebt werden muss, wie Kindergärtnerinnen berichten.

Experten kritisieren daher immer wieder, dass gerade im Kindergartenbereich am falschen Eck gespart wird. Die Zahl der Betreuerinnen ist etwa für Heide Lex-Nalis von der Kindergartenplattform EduCare letztendlich der Schlüssel zu mehr Qualität. Denn mit den derzeitigen Betreuungsrelationen sei es nicht möglich, dass die Pädagoginnen gezielt an den Defiziten des einen Kindes arbeiten oder die besonderen Fähigkeiten des anderen Kindes fördern könnten.

Die Kindergärten könnten damit ihre Entwicklung von der Aufbewahrungsanstalt zur Bildungsanstalt nur schwer vollziehen. Dabei müssten im Kindergarten die Basisfähigkeiten erworben werden, die späteres Lernen erleichtern. Vom internationalen Standard von drei bis vier Erwachsenen pro 20 Kinder seien die österreichischen Kinderbetreuungseinrichtungen ohnehin weit entfernt, sagt Lex-Nalis.


„Unzumutbare Bedingungen.“
Für die Gewerkschaft sind das alles in allem „unzumutbare Rahmenbedingungen“. Sie fordert in der Demonstration am Samstag daher nicht nur weniger Kinder pro Gruppe oder mehr Platz für Kinder und Personal, sondern sammelte letztlich auch Unterschriften für ein einheitliches Bundesrahmengesetz für Kinderbildungseinrichtungen, um all die verschiedenen Verordnungen zu einen.

Argumentiert werden diese Forderungen auch mit dem Wohl des Kindes. Denn bessere Rahmenbedingungen in den Krippen, Kindergärten und Tagesstätten wirken sich nicht nur auf die 50.000 Menschen aus, die dort arbeiten, sie betreffen auch die 320.000 Kinder, die dort betreut werden. Und deren Eltern: Die machen sich naturgemäß Sorgen, ob sie auch tatsächlich den besten Platz für ihre Kinder bekommen haben. Denn schon innerhalb einer Stadt ist die Bandbreite (und damit auch die Qualität) an unterschiedlichen Kindergärten groß: Von den konfessionellen über die städtischen zum selbstverwalteten gelten für alle Kindergärten unterschiedliche Regelungen. Bei einigen sind die Rahmenbedingungen etwas besser als der Mindeststandard der gesetzlichen Regelung. So ist man bei den Kindergärten der Stadt Wien stolz darauf, dass „sogar“ eine Krankenstandsreserve vorgesehen ist. Wenn ein Pädagoge krank ist, kann theoretisch also ein anderer einspringen – soweit das durch den Personalmangel gedeckt ist, denn derzeit fehlen den städtischen Kindergärten 166 Pädagoginnen.

1,5 Quadratmeter Platz für ein Kind. Ähnlich unterschiedlich sind die Vorgaben für die Größe der Gruppenräume, die auch kritisiert werden. In Wien sind drei Quadratmeter bespielbare Bodenfläche pro Kind vorgesehen. Im Vergleich mit Vorarlberg ist das aber noch großzügig: Dort reichen bereits 1,5 Quadratmeter pro Kind aus. Sitzgelegenheiten für Erwachsene wird man in Krippen und Kindergärten weitestgehend erfolglos suchen. Gespräche mit Eltern müssen zwischen Tür und Angel geführt werden und Arbeiten wie das Erstellen einer Tagesplanung können Pädagoginnen kaum an ihrem Arbeitsplatz erledigen. Aber das ist ohnehin nur in manchen Bundesländern in der Arbeitszeit möglich: In der Steiermark werden bei Vollanstellung zehn Stunden Vorbereitungszeit bezahlt. Die Bundeshauptstadt ist zweigeteilt: Bei der Gemeinde Wien gibt es sechs Vorbereitungsstunden, für private Einrichtungen in der Hauptstadt existiert dagegen keine gesetzliche Regelung.

Die Arbeitgeber sehen die Situation freilich entspannter: Zwar gebe es immer Raum für Verbesserungen, aber die Anzahl der Betreuerinnen reicht für Daniela Cochlar, Leiterin der Kindergärten der Stadt Wien, schon aus, um den Bildungsauftrag zu erfüllen. So würden eine Pädagogin und eine Assistentin genügen, um mit einer Kleingruppe von fünf oder sechs Kindern ein Projekt wie das Mischen von Farben durchzuführen. Und die anderen? „Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren können sich auch eine Zeit lang selbst beschäftigen.“

Außerdem seien die Fundamente von Bildung im elementarpädagogischen Bereich nicht Unterricht, sondern Sinneserfahrungen, Bewegungserfahrungen und Spiele, sagt sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Von mehr Pädagogen als bisher festgelegt ist in den Kindergärten der Stadt Wien nämlich nicht die Rede – Wien wolle erst versuchen, den guten Standard, den die städtischen Kindergärten hätten, zu halten, sagt Cochlar.


Akademisierung. Der Wunsch der Berufsvertreter nach einer Akademisierung des Berufs dürfte übrigens daran scheitern, dass der Bund keine Verantwortung für den Kindergartenbereich übernimmt. Auch die Ausbildung der Assistentinnen steht in der Kritik: Sie ist in keinem Bundesland einheitlich. Die Möglichkeiten reichen vom Wifi-Kurs bis zur internen Schulung. Am Ende der Demonstration lassen die Kindergärtnerinnen das Haus aus Karton vor dem Finanzministerium zusammenbrechen. Als symbolhaftes Zeichen für das derzeitige System. Das schon lange nicht mehr stimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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