Soll der Bund das Kindergarten-Chaos lösen?

Soll Bund KindergartenChaos loesen
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Kinder- und Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) über den Pädagogenmangel in der Bundeshauptstadt und wann er bereit dazu wäre, Kompetenzen an den Bund abzugeben.

Wien. Sie haben die Nase gründlich voll. In orangen Westen mit Protestaufschrift und unter zum Teil ohrenbetäubendem Trillerpfeifenlärm haben Kinder und Betreuer am Samstag gegen die prekären Arbeits- und Betreuungsverhältnisse in Österreichs Kindergärten protestiert. „Die Presse“ hat mit dem in Wien zuständigen Stadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) über deren Forderungen gesprochen.


Die Presse: Österreichs Kindergartenpädagogen haben am Samstag wegen untragbarer Arbeitsbedingungen protestiert. Sind diese in Wien tatsächlich so schlimm?

Christian Oxonitsch: Für mich war das keine Demonstration, die sich gegen Wien gerichtet hat. Es ging ja um bundeseinheitliche Rahmenbedingungen. Wenn man sich die Gehaltstabelle ansieht, dann ist uns mit dem Gehaltspaket vor zwei Jahren, als wir mehr als 18 Mio. Euro für die Gehaltssituation in Wien zur Verfügung gestellt haben, ein ganz wichtiger Schritt gelungen. Wien liegt im Bereich der Einstiegs- und Ausstiegsgehälter im Spitzenfeld.

Am Samstag wurde auch gegen die Situation in Wiener Kindergärten demonstriert. Außerdem haben die Kindergärtner auch Punkte wie den Betreuungsschlüssel kritisiert. Der liegt in Wien bei eineinhalb Betreuungspersonen für 20 Kinder.

Also ich denke, dass der Betreuungsschlüssel, den wir derzeit haben, und auch die engagierten und gut ausgebildeten Pädagogen eine ganz wesentliche Grundlage dafür darstellen, dass die Eltern zufrieden sind. Aber verbessern kann man immer was.

Ausgerechnet die Leute, die die Kinder betreuen, sagen, der Schlüssel sei nicht in Ordnung. Der Kindergarten verkomme zu einer „Aufbewahrungsanstalt“.

Es gibt immer eine Diskussion zwischen den Beschäftigen und den Dienstgebern. Und es ist immer zulässig, dass Beschäftigte für ihre Interessen Demonstrationen abhalten und Forderungen stellen. Für mich ist das aber eine klare Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die hat man immer.

Wenn man sich internationale Standards ansieht, dann kommen etwa in Schweden auf 20 Kinder drei bis vier Erwachsene.

Dass teilweise kleinere Betreuungsgruppen international ein Standard sind, stimmt. Ich glaube trotzdem, man sollte sich die Details dort ansehen. Da geht es um die Gruppengröße und die verfügbaren Räumlichkeiten – und da liegen wir in Wien mit drei Quadratmetern pro Kind bundesweit an der Spitze. Eine Verkleinerung der Gruppenzahl ist automatisch eine Reduktion des Platzangebotes.

Sie könnten ja auch einfach mehr Leute einstellen.

Die Diskussion über das Personal ist eine, die wir gern führen können, nur angesichts der Tatsache, dass wir schon jetzt 166 Personen für den jetzigen Betreuungsschlüssel suchen, stellt sich die Frage gar nicht. Wir suchen in ganz Österreich wahrscheinlich an die 500 bis 600 Pädagogen.

Glauben Sie nicht, dass der Pädagogenmangel etwas mit den schlechten Rahmenbedingungen zu tun hat?

Nein. Der Pädagogenmangel hat damit zu tun, dass die Standardausbildung in Österreich – nämlich die fünfjährige Bakip – dorthin führt, wo auch die HTL hinführt: Ein Drittel steigt in den Beruf ein, der Rest studiert weiter. In Wien haben wir deshalb die Ausbildungsmodelle „Change“ und „Pickup“ (beides Kollegs für Elementarpädagogik, Anm.) eingeführt. Die sind überlaufen und die Leute wollen dann auch zu 100 Prozent in den Beruf einsteigen.

Wie viele sind das?

Die Ausbildung in Wien bringt uns pro Jahr zirka 140 neue Pädagogen. Heuer haben wir 110 aus der Ausbildung bekommen, nächstes Jahr werden es 140. Wir können davon ausgehen, dass sich die Lücke Ende nächsten Jahres zu schließen beginnt.

Was tun Sie eigentlich, wenn Sie jemand einmal persönlich erwischt und sagt: „Herr Stadtrat, ich kann die Kinder in unserem Kindergarten wirklich nicht mehr betreuen?“

Dann muss man sich anschauen, was die Ursachen sind. Wir haben ja angesichts der mobilen Betreuung Zuschaltsysteme, die wir den Pädagogen bei Problemfällen bereitstellen. Da gibt es ja diverse Supportsysteme. Ungeachtet dessen haben wir einen Personalschlüssel, der letztendlich gültig ist.

Ein weiterer Kritikpunkt der Kindergärtner ist der gesetzliche „Fleckerlteppich“. Wie weit wären Sie bereit, Kompetenzen abzugeben, damit bundesweite Regelungen geschaffen werden können?

Das ist für mich nicht das große Thema. Wenn sich die Wiener Pädagogen das wünschen, dann können wir jederzeit darüber diskutieren. Nur den Wunsch orte ich nicht. Vor allem, wenn man sich die Standards in anderen Bundesländern ansieht.

Also wären Sie prinzipiell bereit, Kompetenzen abzugeben?

Die Frage ist, ob es sinnvoll ist oder nicht. Aber ich bin prinzipiell bereit, darüber zu reden.

Auf einen Blick

Christian Oxonitsch (50) ist seit 2009 amtsführender Stadtrat für Bildung, Jugend, Information und Sport in Wien. Seit Oktober 2011 ist er Bundesvorsitzender der Österreichischen Kinderfreunde. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2012)

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