Der Stabilitätsmechanismus lenkt die Eurorettung in klarere Bahnen. Der ESM zeigt aber auch, wie groß die Kluft zwischen Europas Bürgern und ihren politischen Eliten ist. Er nimmt am Dienstag seine Geschäfte auf.
Brüssel. Mit 200 Milliarden Euro an sofort verfügbarem Geld (bis zu 500 Millionen Euro sollen es Zug um Zug werden) und einer Mannschaft von knapp 60 Mitarbeitern nimmt der EU-Währungsfonds ESM am Dienstag in Luxemburg seine Geschäfte auf.
Schon seine Inauguration am Montagnachmittag durch die Finanzminister der 17 Euroländer machte dreierlei klar sichtbar: Erstens ist dieser „Europäische Stabilitätsmechanismus“ das klarste Indiz dafür, dass der Bestand des Euro auf Jahrzehnte sicher ist. Zweitens offenbart der Umgang der ESM-Spitze mit den dringendsten Problemen, dass es zu wenig ist, auf technokratische Expertise zu bauen, wenn politischer Entscheidungswille nötig ist. Drittens belegt der ESM, wie groß die Kluft zwischen Europas Bürgern und ihren politischen Eliten ist.
Steuerfrei, straffrei, nichts dabei
Letzteres zeigt sich in Österreich zum Beispiel an den Reaktionen auf die Nachricht, dass der frühere Pressesprecher und jetzige Sektionschef im Finanzministerium, Harald Waiglein, zum Direktor im ESM-Vorstand bestellt worden ist. Aus dem Umstand, dass Waiglein im Rahmen dieser Tätigkeit (und nur da) nicht dem Einkommensteuergesetz unterliegt und von Strafverfolgung ausgenommen ist, destillierte das stets meinungsfreudige, aber oft ahnungslose Internet-Kommentariat das Bild eines lukrativen Spitzenjobs, bei dem man straffrei allerlei Gräueltaten begehen dürfe. Dass Waiglein unentgeltlich im Rahmen seiner Dienstpflicht an ESM-Vorstandssitzungen teilnimmt, ging unter. Dasselbe gilt für den Umstand, dass die Straffreiheit der ESM-Direktoren bloß verhindern soll, dass sie bei Umschuldungen von Investoren rund um die Welt geklagt werden. Vielleicht wäre das Volk dem ESM weniger kritisch gesinnt, wenn man ihn als das bezeichnen würde, was er ist: ein Währungsfonds, der angeschlagenen Euroländern Kredit gibt, ihre Anleihen auf dem Markt kauft, Kreditlinien als vorbeugende Maßnahmen gewährt und das Geld für den Umbau maroder Banken bereitstellt.
Asien garantiert den Euro
Das zeigt, dass es weiterhin politische Führungsstärke braucht, um Europa finanziell zu stabilisieren. Was soll man zum Beispiel mit den Altschulden der irischen Banken tun, die Irlands Budget rasant haben aufquellen lassen? Soll die der ESM übernehmen – so wie er das in Spanien plant? Es dürfte künftig zu wenig sein, wenn ein sichtlich fadisierter Jean-Claude Juncker wie bei der Pressekonferenz am Montag in seinem Amt als Chef der ESM-Gouverneure (die Euro-Finanzminister) alle politischen Fragen von sich abputzt.
Denn der ESM zeigt, dass der Euro ein dauerhaftes politisches Projekt ist. So kann er bis zu 30-jährige Anleihen begeben, um sich zu finanzieren. Derzeit sei das nicht nötig, sagte ESM-Chef Klaus Regling am Montag. Doch wenn er eines Tages seine erste Anleihe begebe, „hoffe und erwarte“ er, dass die asiatischen Staaten „traditionell gute Kunden“ sein würden – und die ESM-Anleihen so eifrig kaufen wie bisher jene des provisorischen Hilfsvehikels EFSF. 40 Prozent von dessen Bonds kauften asiatische Investoren. Die Asiaten glauben an den Euro – vielleicht mehr als die Europäer selbst.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2012)