Angela Merkel bemühte sich um einen neuen Ton gegenüber Griechenland. Sie sagte Athen neue Hilfe zu. Dennoch musste sie von einem Großaufgebot der Polizei geschützt werden.
Athen/C.g. Zwei Gesichter einer Metropole: Durch ein stilles, geräumtes Athen brauste die deutsche Kanzlerin Dienstagmittag vom Flughafen zum kurzen Arbeitsgespräch mit Antonis Samaras, dem griechischen Ministerpräsidenten. Ein Versammlungsverbot auf der Route ihres Konvois, um die deutsche Botschaft und das Regierungsviertel sorgte für ungewöhnliche Ruhe im gesperrten Teil des Zentrums. Die Bannmeile wurde von einer lückenlosen Kette von Polizeibeamten gesichert, alle 20 Meter ein Mann, dazu ein Plexiglaszaun vor dem Parlament, Scharfschützen auf den Dächern, Froschmänner in den Gewässern, Bereitschaftstruppen in käfigartigen Mannschaftswagen, Beamte in Zivil, insgesamt 7000 Mann. Das andere Gesicht der Stadt zeigte sich mit heftigen Demonstrationen von rund 40.000 Menschen, die abseits des Blickfelds von Merkel ihrer Verärgerung über die harten Sparauflagen Luft machten.
Nach den Gesprächen der Regierungschefs interpretierte Samaras den Besuch der Kanzlerin als „Anerkennung für die griechischen Opfer". Tatsächlich versuchte Merkel einen neuen Ton in der Bewertung Griechenlands anzustimmen. Sie zeigte Verständnis für die Nöte der Griechen, betonte den Willen, das Land im Euro zu halten und bot konkrete Hilfe für die Reform der regionalen Verwaltung und des Gesundheitswesens an. Die Hilfe soll mit 30 Millionen Euro starten. Keine Äußerungen gab es über die ausstehende Kredittranche für das bankrotte Athen und eine mögliche Streckung der notwendigen Sparmaßnahmen der Jahre 2013 und 2014. Darüber dürfte erst beim EU-Gipfel Mitte Oktober entschieden werden.
Hakenkreuzfahne in Griechenland
Gut gefüllt mit einem Heer an Demonstranten war die zweite Hälfte der Athener Innenstadt, beginnend am Syntagma-Platz vor dem Parlament. „Angela", wie sie hier genannt wird, mobilisierte linke und rechte Gruppen, aber auch viele frustrierte Griechen. Erneut tauchten Bilder und Masken von Wehrmachtssoldaten mit Hakenkreuzfahne auf, diesmal von der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten.
Nach ihrem Abflug um 19.30 Uhr jedenfalls konnten die Sicherheitskräfte erleichtert aufatmen. Es war alles gut gegangen, von Nacktflitzern und Plastikflaschen unbezahlter Spitalsangestellter auf den Autokonvoi abgesehen, hatte es keine ernsthaften Zwischenfälle gegeben. Die zwölf Verhaftungen und neun Verletzten stellen Routine dar. Offen muss freilich die Frage bleiben, wie sich die Kanzlerin in der menschenleeren Sperrzone ein Bild von der Lage in Griechenland machen konnte. Die ersten Reaktionen der griechischen Opposition waren scharf: Alexis Tsipras von der Radikalen Linken bezeichnete den Besuch als „kommunikatives und politisches Fiasko".
Merkel: „Bin keine Lehrerin"
Die Deutschen und ihre Kanzlerin sind in Griechenland zum Feindbild mutiert. Scheinbar abfällige Bemerkungen deutscher Politiker und provokative Schlagzeilen über „Betrüger in der Eurofamilie" haben böses Blut gemacht. Viele machen nun allein „Sparmeister" Deutschland für das rapide Sinken ihres Lebensstandards verantwortlich. Alte Ressentiments werden an die Oberfläche gespült.
Merkel weiß das wohl - und versuchte zu beruhigen: „Ich bin hier nicht als Lehrerin oder Notengeberin hergekommen, sondern um Unterstützung auf einem sehr schwierigen Weg zu leisten." Der deutsche Fernsehsender ARD fasste den Besuch treffend zusammen: „Merkel lobt, Athen tobt."
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2012)