„Die Wahrheit ist ein Heer“: Katharina Tiwald will zeigen, wie ein Mädchen an Versagensangst und Gleichgültigkeit zerbricht.
Erwachsen werden war nie leicht, unddie Schule machte es vor allem früher, als Lehrer noch gottähnlich in Klassenzimmern herrschten und Schüler ihnen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert waren, nicht gerade leichter. Davon erzählen „Der Zögling Törleß“, „Der Schüler Gerber“ oder „Jugend ohne Gott“ – große literarische Vorbilder, mit denen man als Autor verglichen werden wird, versucht man sich heute an einem Schülerroman. Gelingen kann es dennoch, das hat Juli Zeh mit dem Roman „Spieltrieb“ (2004) bewiesen, der die Dreiecksgeschichte um Ada, Alevund den verführten und erpressten Lehrer Smutek erzählt und zeigt, wie sich das System inzwischen verändert hat: dass sich heute schon fast eher die Lehrer vor den Schülern in Acht nehmen müssen.
Die junge burgenländische Autorin Katharina Tiwald, Jahrgang 1979, die bereits einen Erzählband, eine Lyriksammlung und zwei Theaterstücke veröffentlicht hat, geht mit ihrem Romanerstling „Die Wahrheit ist ein Heer“ einen anderen Weg. Die Hauptfigur, das Mädchen G. (Gerber?), ist ein sehr durchschnittliches Kind, nicht besonders begabt, nicht besonders beliebt, nicht besonders schön. In Mathematik ist es sogar besonders schlecht und kassiert irgendwann auch das erste Nicht genügend. Der Vater reagiert darauf leicht ungehalten, er ermahnt G., keine Versagerin zu werden, aber damit hat es sich auch schon. Und eigentlich ist G. die Geschichte mit ihrer ersten Flamme, dem Migrantenkind Nebojša, viel wichtiger als der Fünfer in Mathe. Sie möchte Sex haben, doch als es dazu kommt, versagt Nebojša. Die beiden gehen auf Distanz, und der Klassenbulli („Der Pate“) nutzt die Chance. Aber nicht, weil er G. mag, sondern weil er sich wichtig machen will. Er plaudert, und G. ist auf einmal die „Schlampe“ in der Klasse, schämt sich, liest zu Hause „Hundert Jahre Einsamkeit“, fühlt sich ungeliebt. Und weiß sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als die Schlaftabletten der Mutter zu schlucken.
Es ist offensichtlich, dass vieles schiefgeht im Leben der G.: dass das Mädchen Angst hat zu versagen, dass es an mangelndem Selbstwertgefühl leidet, dass weder Eltern noch Lehrer noch Mitschüler daran etwas ändern. Weil es eigentlich keinen interessiert. Zumindest liest man das zwischen den Zeilen, ausgeführt werden psychologische Details im Roman leider nicht. Die Erzählung bleibt allgemein, distanziert, Tiwald verschanzt sich hinter einem Wust von Metaphern (daher der Titel, das Nietzsche-Zitat endet mit „ist ein Heer von Metaphern“), was dem Roman insgesamt nicht guttut.
Das klingt dann etwa so: „Wir würden gerne die Zeit so sehr verlangsamen und die Wörter so weit dehnen, dass jede und jeder in ihnen den Platz fände, den sie oder er eigentlich brauchte. Nämlich: allen; allen Platz; für jeden eine so lange Wortstrecke, dass sich das ganze Leben darin spiegelt; alle Tagstoffe und durch die fahrigen Nachtträume durch, die Nachtfetzen, die wir im Aufstehen schon abstreifen, täglich und nächtlich steht dem einzelnen Mensch-Geschehen ein Wortfaden zu, der sich schmückend und schützend um die Haut legt.“ – Umständlich, prätentiös, pathetisch.
Tiwalds Roman überzeugt letztlich weder inhaltlich noch sprachlich. Dabei wäre die These, die der Roman aufstellt – dass die Gleichgültigkeit, die der Jugend heute entgegengebracht wird, fatal sein kann –, zwar gewagt, aber durchaus interessant. ■
Katharina Tiwald
Die Wahrheit ist ein Heer
Roman. 208S., geb., €24,99 (Styria Verlag, Graz)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2012)