Während ein am Freitag angelaufener Film dem Leben der Bienen huldigt, haben Österreichs Imker eines der schlimmsten Jahre seit Langem erlebt: Mehr als ein Viertel der Honigbienen ist nicht aus der Winterruhe erwacht.
Es ist der schwerste Gang im Leben jedes Imkers. Die paar Schritte hin zu seinen Völkern im Frühjahr, wenn an den Fluglöchern eigentlich schon seit Tagen emsiges Treiben herrschen sollte – aber stattdessen nur öde Stille von einer Tragödie kündet. Ein paar Schritte, bevor der Imker den Deckel von der „Beute“, wie ein Stock im Fachjargon heißt, nimmt, einen Blick in die Gassen zwischen den Waben wirft und schließlich Gewissheit über das erlangt, was er längst befürchtet hat. Tot. Das ganze Volk – tot.
Es ist zutiefst frustrierend, wenn ein Imker Ende Februar Hundertschaften an Bienen aus der verwaisten Beute schütteln, wenn er Handvoll um Handvoll vertrockneter Insekten wegschaufeln muss – aber völlig ungewöhnlich ist es nicht. Zwischen zehn und 15 Prozent aller Bienenvölker in Österreich überstehen Jahr für Jahr nicht die Winterruhe zwischen November und Februar, haben Robert Brodschneider und Karl Crailsheim vom Institut für Zoologie der Universität Graz in den vergangenen fünf Jahren erhoben.
Verluste, auf die die heimischen Bienenzüchter eingestellt sind: Nicht umsonst wird dem zuletzt wieder zahlreicher gewordenen Imkernachwuchs empfohlen, ihre Karriere mit mindestens drei Völkern zu beginnen – so hält sich die Frustration über Verluste in Grenzen, der Betrieb kann ungestört weitergehen.
Mehr als ein Viertel tot. Nur: Heuer war alles anders. Wer das Glück hatte, nicht selbst betroffen zu sein, hörte zuerst Gerüchte am Imkerstammtisch. Dann erschienen erste Berichte im Fachblatt „Bienen Aktuell“, schließlich griffen auch die Medien das Thema auf – und plötzlich war das Wort vom „Bienensterben“ auch in Österreich präsent. Bisher war das rätselhafte Insektensterben, genannt „Colony Collapse Disorder“, v. a. ein Phänomen, das man aus den USA kannte.
Aber im Winter 2011/12 kam es plötzlich auch in Österreich zu massiven Völkerverlusten: In ihrer Erhebung der Winterverluste von Bienenvölkern in Österreich 2011/2012 stellen Brodschneider und Crailsheim einen eklatanten Anstieg der über den Winter ausgestorbenen Bienenstöcke fest: 25,95 Prozent, mehr als jedes vierte Volk, seien in diesem Winter verendet, so das Ergebnis einer Umfrage unter 1521 Imkereien. Selbst, wenn man die Schwankungsbreite in Betracht zieht, heißt das, dass binnen wenigen Monaten 87.000 bis 103.000 der im Jahr 2010 gemeldeten 367.583 Bienenvölker des Landes eingegangen sind: die dramatischste Zahl seit Beginn der quantitativen Erhebungen der Universität Graz vor fünf Jahren.
Ein fruchtbarer Boden also für den Dokumentarfilm More than Honey des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof, der am Freitag in Österreichs Kinos angelaufen ist. Imhoof, der aus einer Imkerfamilie stammt, besucht in seiner liebevollen Recherche Imkereien auf der ganzen Welt – von den Hobby-Bienenzüchtern Zentraleuropas bis zu den industrialisierten Honigfabriken der USA – und kommt zu demselben ernüchternden Schluss, den auch die heimischen Forscher gezogen haben: Den Bienen, diesen dank ihrer Bestäubungstätigkeit so enorm wichtigen Nutztieren, geht es nicht gut.
Umstritten ist allerdings, warum. Denn während die Studie der Grazer Zoologen die Zahl der Völkerverluste in Österreich erfasst, lasse sich daraus keine Rückschlüsse auf die Ursache ziehen, erklärt Studienautor Robert Brodschneider gegenüber der „Presse am Sonntag“.
Tauglicher für die Suche nach den Ursachen ist da schon der Abschlussbericht des Projekts „Melissa“, den die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) vorgelegt hat. Im Zuge von „Melissa“ wurde in den vergangenen drei Jahren anhand von eingeschickten Proben toter Bienen untersucht, woran die betroffenen Völker zugrunde gegangen sind – und in welchem Zusammenhang das Insektensterben mit gegen den Maiswurzelbohrer eingesetzten Neonicotinoiden steht, die seit Langem im Verdacht stehen, auch Bienenvölkern zu schaden.
Schädliche Schädlingsbekämpfung. Dieser Maiswurzelbohrer ist eine ernst zu nehmende Gefahr für die heimische Landwirtschaft: Das Schadinsekt breitet sich seit einigen Jahren über immer größere Teile Österreichs aus: Aus Südosteuropa kommend ist es zuerst im Kärntner Lavanttal aufgetreten und hat nun bereits die Alpen überquert. Im Jahr 2011 ist der Käfer um 80 Kilometer nach Norden weitergewandert.
Ohne den Einsatz von gentechnisch veränderten Maissorten – der in Österreich verboten ist – bleibt als einzige wirkungsvolle Bekämpfungsmethoden das „Beizen“ von Maiskörnern vor der Aussaat: Dadurch wirkt die aktive Substanz Neonicotinoid direkt dort, wo der Schädling angreift: nämlich beim Korn bzw. den Wurzeln im Boden. Die Menge an eingesetztem Insektizid kann durch diese Methode gegenüber herkömmlichem „Spritzen“ deutlich verringert werden.
Was sinnvoll ist – denn die seit rund 15 Jahren eingesetzten Neonicotinoide sind seit Längerem als bienenschädlich bekannt. Direkt auf die Bienen gespritzt stört das Gift den Orientierungssinn der Bienen, die nicht mehr in ihre Stöcke zurückfinden. Die Flugbienen bringen demnach keine Nahrung, das im Stock befindliche Volk kollabiert oder wird so geschwächt, dass es anfälliger gegenüber Schädlingen und Krankheiten wie Nosema oder Faulbrut wird.
Die Frage für „Melissa“ lautete nun, inwieweit sich die Maisschutzmittel indirekt auf die Bienen auswirken. In der Diskussion der Studie kommen die Autoren Leopold Girsch und Rudolf Moosbeckhofer zu einem Ergebnis, das viel Interpretationsspielraum lässt: Einerseits zeige „Melissa“ eindeutig, dass es vor allem in Mais- und Ölkürbisanbaugebieten Bienenschäden durch neonicotinoide Beizmittel gebe, weswegen Maßnahmen bezüglich Beizqualität und Sätechnik „klar notwendig“ seien – „das Problem der Wirkstoffabdrift konnte noch nicht zufriedenstellend gelöst werden“ heißt es in dem Abschlussbericht.
Eine Erkenntnis, die Imker- und Umweltorganisationen gern zitieren, um ihre Forderung nach einem Verbot der Beizmittel zu unterstreichen. Auf ihren Druck hat die Landwirtschaft vor zwei Jahren erste Maßnahmen ergriffen, z. B. bei der Fruchtfolge: Wenn jedes vierte Jahr eine andere Frucht – etwa Soja oder Kürbis – auf den Maisfeldern angebaut wird, kann die massenhafte Ausbreitung des Maiswurzelbohrers unterbunden werden. Dann können die Landwirte ein oder zwei Jahre lang auf das Ausbringen gebeizten Saatguts verzichten. Unterm Strich soll sich die Fläche, auf der gebeizter Mais angebaut wurde, von 2009 bis 2011 bereits um rund die Hälfte verringert haben.
Nicht genug, heißt es von Imkerverbänden: Neonicotinoide müssten komplett verboten werden – was die Vertreter der Landwirte wiederum mit Verweis auf den Maiswurzelbohrer ablehnen. Inzwischen hat sich der Streit ins Parlament verlagert (siehe rechts).
Markus Imhoof, Regisseur von „More Than Honey“ versucht in seinem Film zu vermitteln: „Die Imker müssen die Bauern zu ihren Verbündeten machen.“ Gegen die „chemische Industrie“, gegen den Einsatz der Neonicotinoide.
Nur ein Nebenschauplatz? Die Völkerverluste in der Zeit, in die das Gros der Bienenverluste fällt, im Winter, haben der Melissa-Studie zufolge allerdings konventionellere Gründe: Meistens sei dafür die Varroose verantwortlich; also der Befall mit der vor rund 30 Jahren aus Asien eingeschleppten Varroa-Milbe, einem Parasiten, der Bienen und Brut befällt und so ganze Völker zum Kollaps bringen kann.
Wenn sich diese Ergebnisse in der Nachfolgeuntersuchung zu Melissa – besonders mit Hinblick auf den vergangenen, katastrophalen Winter – erhärten, heißt das, dass die Diskussion um Pestizide letztlich nur ein Nebenschauplatz ist. Und dass der Schlüssel zum Überleben der Honigbienen nicht einfach im Verbot eines bestimmten Stoffes liegen könnte. Sondern auch in der aufwendigen Behandlung der Bienen gegen Milben – sowie der Zucht zur Resistenz gegen diese Ursachen.
Dieser Tage ziehen sich die Bienenvölker zurück in ihre Beuten. Wie viele von den hunderttausenden Völkern im Februar wieder aufwachen werden, bleibt vorerst die bange Frage.
In Zahlen
wurden 2010 in Österreich gemeldet.
9-16 Prozent
davon überleben in einem normalen Jahr den Winter nicht.
25,95 Prozent
Völkerverluste hatten Österreichs Imker in diesem Winter zu verzeichnen.
Der Film
www.morethanhoney-derfilm.at
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2012)