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"Die christliche Prägung nicht verlieren"

Sebastian Kurz und Niko Alm(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Staatssekretär Sebastian Kurz und Laizist Niko Alm über Ethik als Alternative zum Religionsunterricht, das Problem politische Bildung und die Frage, ob man sich vor muslimischen Zuwanderern fürchten muss.

Herr Kurz, haben Sie seinerzeit überlegt, sich vom Religionsunterricht abzumelden?

Sebastian Kurz: Ich glaube, jeder junge Mensch überlegt das das eine oder andere Mal. Bei mir war der Religionsunterricht Gott sei Dank immer sehr gut gemacht und er hat einen breiten Überblick auch über soziale Fragen, andere Religionen und Werte gegeben. Darum bin ich im Nachhinein froh, dass ich mich nie abgemeldet habe.

Herr Alm, hat der Religionsunterricht dazu beigetragen, dass Sie heute Atheist sind?

Niko Alm: Kaum. Der Firmunterricht hat dazu beigetragen, weil mir da zum ersten Mal bewusst geworden ist, dass ich eigentlich nie an etwas geglaubt habe. Ich habe mich aber trotzdem nicht vom Religionsunterricht abgemeldet, weil mich das Thema Religion immer interessiert hat und ich auch keinen großen Erkenntnisgewinn für mich in einer weiteren Freistunde gesehen hätte.

 

Vom Ministranten, der Sie waren, zum Atheisten ist es aber ein weiter Weg, oder?

Alm: Relativ weit, ja, und es hat bei mir viele Jahre gedauert.

Kurz: Ich war nie Ministrant.

Wie wichtig ist Religion und im Speziellen Religion in der Schule für Sie?

Kurz: Ich glaube, dass Religion grundsätzlich sehr wichtig für die Menschen ist, dass Werte etwas Wichtiges sind und Religion ein guter Zugang ist, um sich mit eigenen Grundwerten auseinanderzusetzen. Religion in der Schule ist wichtig, weil wir da alle jungen Menschen in einem geregelten System erwischen. Religionsunterricht ist in der Schule wesentlich besser aufgehoben als irgendwo im Hinterhof.

Wie groß ist die Gefahr des Hinterhofs?

Alm: Die Gefahr mag gegeben sein, aber die Lösung kann nicht ein konfessioneller Religionsunterricht sein. Sondern das muss sich vielleicht einmal der Verfassungsschutz genauer anschauen. Sonst droht da etwas Problematisches oder gar Illegales.

Und ein Ethikunterricht könnte dieses Problematische oder Illegale dämpfen?

Alm: Natürlich. Wichtig ist, dass Schülern Werte und Ethik vermittelt werden, die für alle gleichermaßen gelten – und auch alle gemäß Außensicht wesentlichen Religionen und ihre Eigenschaften.

Kurz: Ich sehe keinen Grund, den Religionsunterricht aus der Schule zu drängen. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass wir in Österreich das Problem hätten, dass sich alle so fanatisch zur eigenen Kultur, Tradition, Geschichte und religiösen Prägung bekennen. Im Gegenteil: Wir haben doch immer mehr Leute, die nicht recht wissen, wo sie hingehören und hinsollen. Und gerade Kinder, die zugewandert sind oder zur zweiten Generation zählen, fragen sich: Wie bringe ich meine Religion und das Österreicher-Sein unter einen Hut, gerade wenn ich nicht christlich geprägt bin? Ein Religionslehrer, der hier aufgewachsen ist und das Land gut kennt, kann einen wichtigen Beitrag leisten.

Würde Österreich in zwanzig Jahren anders aussehen, wenn man den Religionsunterricht an den Schulen abschafft, der ja großteils ein katholischer ist?

Kurz: Ich finde es immer wieder sehr spannend, dass siebeneinhalb Millionen christlich geprägter Menschen sich davor fürchten, von fünfhunderttausend muslimisch geprägten Menschen überrannt zu werden. Aber: Wenn wir den Religionsunterricht und auch noch anderes aufgeben, entscheiden wir uns natürlich klar gegen die christliche Prägung unseres Landes, und das halte ich persönlich nicht für gut.

Alm: Ich habe keine Angst vor der christlichen Prägung, und schon gar nicht vor nicht christlicher Zuwanderung, die Prägung wird uns nicht verloren gehen. Falls doch, wäre dieser Verlust eine Tochter der Zeit und sicher nicht davon abhängig, ob es Religions- oder Ethikunterricht gibt.

Kurz: Was wir dringend brauchen, ist ein Ethikunterricht für alle, die nicht im Religionsunterricht sind. Statt Freistunden sollen auch sie sich mit Werten auseinandersetzen, die braucht jedes Kind.

Und wer soll sie definieren?

Kurz: Das ist natürlich eine Herausforderung. Aber es geht ja heute nicht mehr um den totalen Frontalunterricht oder die große Keule, mit der dem Schüler etwas reingedrückt wird, sondern darum, zu lernen, sich mit etwas auseinanderzusetzen, etwa mit den Fragen des Zusammenlebens, mit Religionen, Religionsgemeinschaften, dem Umgang mit religiösen Menschen, Respekt. Wobei es natürlich eine Verfassung gibt, die eindeutig Grundwerte definiert. Man kann sich auch die Grundhaltungen der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften ansehen. Bedeutende Philosophen haben sich mit Wertefragen auseinandergesetzt. Wir haben aber schon Ethikunterricht als Schulversuch, und ich habe nicht den Eindruck, die Kinder wären dort schlecht aufgehoben. Wir haben auch die Ausbildung zum Ethiklehrer, für die sich viele Religions- oder Philosophielehrer interessieren.

Alm: Religionslehrer sollten aber nie den konfessionsfreien Ethikunterricht abhalten dürfen, das wären dann sozusagen unfaire Verhältnisse. Das sollen andere machen.

Gerade in der ÖVP werden Werte als Parteilinie propagiert, beginnend mit dem Anstand. Welche Werte müssen in der Schule vermittelt werden?

Kurz: Was ist denn das Problem unserer Politik? In Wahrheit, dass wir, quer durch alle Parteien, viel zu stark eine umfragebasierte Politik machen. Wir haben viel zu sehr das Gefühl, dass ein Politiker, ehe er überhaupt etwas macht, eine Meinungsumfrage gemacht hat, ob das eh g'scheit ist, was er da sagt. Aber was wir in der Politik und in jedem anderen Lebensbereich brauchen, sind Leute, die ein klares Fundament haben. Die wissen, wofür sie stehen, und dafür dann auch eintreten.

Was muss man einem, sagen wir, vierzehnjährigen Schüler am ehesten mitgeben?

Alm: Das übersteigt meinen Kompetenzbereich. Ich würde der Gesellschaft aber ungern ein Wertedefizit unterstellen, ein solches hat es auch immer gegeben. Grosso modo sehe ich aber keine Verlotterung.

 

Aber Werte halten Sie für wandelbar. Oder?

Alm: Ja, klar. Das haben die vergangenen Jahrhunderte auch deutlich gezeigt: wie man mit anderen Meinungen, mit der Frau in der Gesellschaft umgegangen ist. Eine Neuorientierung ist oft auch gegen Religionen und dominierende Gruppen erstritten worden.

Kurz: Ich bin überzeugt, dass es die Weltreligionen und Religionsgemeinschaften waren, die unser Wertesystem stark geprägt haben. Und in Österreich und Europa sind wir durch ein christlich-jüdisches Wertesystem geprägt.

Alm: Ich glaube einfach nicht so ganz an die Geschichte, dass einmal jemand Werte auf eine Steintafel diktiert bekommen hat.

 

Finden Sie es respektlos, wenn Herr Alm ein Nudelsieb aufsetzt so wie für sein Führerscheinfoto – wegen der Kirchenprivilegien?

Kurz: Was heißt respektlos. Wir leben in einem Land, das Gott sei Dank demokratisch geprägt ist, in dem Religions- und Meinungsfreiheit gilt. Und da halte ich es durchaus für legitim, dass Leute eine andere Einstellung vertreten, als vielleicht ich sie habe.

Und dass sie ein Nudelsieb aufsetzen?

Kurz: Und dass sie, wenn sie das wollen, ein Nudelsieb aufsetzen. Was nichts daran ändert, dass ich in der Sache in vielem anderer Meinung bin. Aber auch so etwas muss in einem Land wie Österreich möglich sein.

Käme ein Ethikunterricht in Österreich im Regelunterricht, würde das je nach Modell 25 bis 106 Millionen Euro im Jahr kosten. Wer soll das bezahlen?

Kurz: Bei unserem Modell mit verpflichtendem Ethikunterricht für jene Kinder, die keinen Religionsunterricht besuchen, wären es rund 25 Millionen. Und das sollte uns die Wertevermittlung für all jene, die nicht in Religion gehen, allemal wert sein. Sie bekommen damit ein wichtiges Grundgerüst mit.

Eine Variante ist auch, dass das Thema Ethik in alle anderen Fächer integriert wird, statt dass es ein eigenes Fach gibt.

Kurz(ironisch): Das funktioniert dann so gut wie bei der politischen Bildung.

Alm: Ganz genau. Also das ist sicher nicht die von mir präferierte Variante. Wenn man das ernsthaft will, sollten die Kosten von bis zu 106 Millionen auch kein Thema sein.

 

Sebastian Kurz, 26Jahre, ist seit April 2011 Integrationsstaatssekretär, seit 2009 Bundeschef der Jungen ÖVP und seit 2008 Landeschef der JVP Wien. Von 2010 bis 2011 saß Kurz im Wiener Landtag und Gemeinderat. Nach dem Gymnasium leistete er von 2004 bis 2005 seinen Präsenzdienst, danach begann er ein Jusstudium an der Universität Wien, das zurzeit ruht.


Niko Alm, 37Jahre, ist seit Mai 2011 Vorsitzender des Zentralrates der Konfessionsfreien sowie Sprecher der Laizismus-Initiative. Der Publizist schuf 2011 Super-Fi, ein Unternehmen, das er leitet und Einzelbetriebe für Marketing, Musikplattformen, Social Media und Magazine umfasst. Super-Fi gestaltete auch schon Kampagnen der österreichischen und europäischen Grünen.

Seit Jahren verhandeln die Koalitionsparteien über regulären Ethikunterricht an Schulen. Die ÖVP will Ethik „nur“ als Alternative für Schüler, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben oder konfessionsfrei sind. Das würde 25 Mio. Euro im Jahr kosten, sagt Staatssekretär Sebastian Kurz. Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) geht von 44 Mio. Euro aus. Ihre Partei bevorzugt aber „Ethik für alle“, Religion soll nicht mehr unterrichtet werden. Kosten: 53 Mio. Euro (bei einer Stunde pro Woche) bzw. 106 Mio. Euro (zwei Stunden).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2012)