Laut Medienberichten verlegt die türkische Flotte Kriegsschiffe in die Nähe syrischer Gewässer und folgt so der jüngsten Verstärkung der Heerestruppen an der Grenze.
Ankara/Güs/Wg/Ag. Angesichts des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien, der in jüngster Zeit mehrfach über die Grenze schwappte, setzt die Türkei ihren militärischen Aufmarsch im Grenzraum nun offenbar auch auf See fort: Laut Berichten diverser Medien hat die türkische Flotte in den vergangenen Tagen mehrere Fregatten, Schnellboote und Transporter vor die südosttürkische Küste und in den Golf von Iskenderun verlegt.
Die Schiffe befänden sich auf See und in Häfen wie Iskenderun und Mersin. Sie könnten mögliche Operationen des Heeres nördlich der syrischen Küstenstadt Latakia unterstützen und Basis für Kommandoaktionen an Land sein. Syriens Flotte ist umgekehrt von fraglichem operativen Zustand und ungleich kleiner als die türkische; allerdings sind in ihrem Arsenal laut offiziellen Statistiken etwa 20 Schnellboote mit Seezielraketen, die großen Schiffen durchaus gefährlich werden können.
Die Türkei hatte zuletzt ihre Panzerverbände und mechanisierten Einheiten an der syrischen Grenze verstärkt. Zuletzt waren im Zuge von Kämpfen zwischen Rebellen und syrischer Regierungsarmee mehrfach Geschosse aus Syrien in der Türkei eingeschlagen und hatten Todesopfer gefordert. Weil die Granaten angeblich von Syriens Armee stammten, feuerten türkische Haubitzen zurück, am Wochenende patrouillierten türkische Jets dicht an der Grenze.
Syrien sperrt Luftraum für Türken
Umgekehrt sperrte Syrien am Samstag den Luftraum für türkische Zivilflugzeuge. Es war eine Reaktion auf jenen Vorfall vom Mittwoch, als türkische Jagdflugzeuge einen syrischen Ziviljet von Moskau nach Damaskus abfingen und zur Landung zwangen. In ihm wollen die Türken Munition und andere Rüstungsgüter gefunden haben; Russland und Syrien hingegen sprechen von legitimen Bestandteilen für Radaranlagen.
Aus türkischer Sicht ist die Luftraumsperre hingegen nur eine symbolische „Bestrafung“ durch das Assad-Regime in Damaskus, weil türkische Zivilflugzeuge den Luftraum des südlichen Nachbars schon seit längerer Zeit aus Sicherheitsgründen umfliegen.
Wieder Streumunition eingesetzt?
Die syrische Armee startete am Sonntag eine Offensive im Norden des Landes, um Positionen von den Rebellen zurückzuerobern. Die Angriffe wurden mit Luftangriffen und Artilleriebeschuss unterstützt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf den Regierungstruppen dabei den Einsatz von international geächteter Streumunition vor: Die Luftwaffe soll demnach Streubomben über Wohngebieten und entlang einer Autobahn von Damaskus in den Norden abgeworfen haben, sagte HRW-Rüstungsexperte Steve Goose. Syrien müsse den Einsatz derartiger Waffen umgehend einstellen.
Bei Streumunition bzw. -bomben werden mittels einer Granate bzw. Bombe gleich Dutzende bis Hunderte kleiner Bömbchen verteilt, damit wurden in früheren Kriegen vor allem Infanteriestellungen und Marschkolonnen angegriffen. Da von den Bömbchen aber viele nicht explodieren und einfach liegen bleiben, sind sie enorm gefährlich für die Zivilbevölkerung, vor allem Kinder, die sie gern für Spielzeug halten.
Westerwelle als Friedensbote
Unterdessen hat Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle am Wochenende überraschend die Türkei besucht. Ankara könne auf die Solidarität Berlins und dessen westlicher Partner zählen, doch sollten sich die Türken um Mäßigung und Besonnenheit bemühen, sagte er am Samstag in Istanbul. Für den Besuch hatte er seine Rückreise aus China unterbrochen.
Deutlicher als bisher betonte Westerwelle sein Verständnis für die Entscheidung der Türkei, das syrische Passagierflugzeug wegen vermuteter militärischer Fracht zur Landung zu zwingen. Deutschland hätte in einem solchen Fall wohl ähnlich gehandelt, sagte er. Der Außenminister hat seit Monaten vor einem regionalen „Flächenbrand“ gewarnt und sieht sich durch die Spannungen an der Grenze zwischen dem Nato-Partner Türkei und Syrien bestätigt.
Der türkische Außenminister Ahmed Davutoğlu sagte nach dem Treffen mit Westerwelle, die Türkei schulde Deutschland und der Nato Dank für die Solidarität. Gleichzeitig drohte er, sein Land werde im Fall weiterer Grenzverletzungen „das Notwendige tun“.
Lexikon
Die türkische Marine ist jener Syriens weit überlegen, sie hat 17 Fregatten, sieben Korvetten, 43 großteils raketenbewaffnete Schnellboote, 14 U-Boote und viele Hilfsschiffe. Syrien hat (soweit bekannt ist) zwei Fregatten und 20 bis 30 Raketenschnellboote von fragwürdiger Einsatzbereitschaft; die zwei alten U-Boote russischen Typs sind nicht seetüchtig.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2012)