Dalli-Gate. Der zurückgetretene EU-Gesundheitskommissar ist über trübe Machenschaften im Ringen um die europaweite Zulassung von schwedischem Schnupftabak gestolpert.
Brüssel. Der Rücktritt des maltesischen EU-Kommissars, John Dalli, erhielt am Mittwoch eine überraschende Wendung. Das Nachrichtenportal Malta Today veröffentlichte ein E-Mail, welches belegt, dass jenes schwedische Tabakunternehmen, das die mögliche Bestechlichkeit von Dalli angezeigt hatte, einen Brüsseler Lobby-Verband führt, der diese Beeinflussung Dallis unternommen hatte. Das nährt jene sich rasch verbreitenden Gerüchte, wonach Dalli von Tabak-Lobbyisten gezielt in eine Falle gelockt worden sein könnte.
Zur Erinnerung: Kommissionspräsident José Manuel Barroso ließ am Dienstagnachmittag per Presseaussendung den Rücktritt von Dalli verkünden. Ein Bericht des EU-Amtes zur Betrugsbekämpfung hat nämlich ergeben, dass Dalli nichts gegen Gerüchte unternommen habe, wonach ein maltesischer Geschäftemacher mit dem Angebot hausieren ging, er könne gegen Geld Dallis Vorschlag für eine Reform der EU-Richtlinie über Tabakprodukte aus dem Jahr 2001 beeinflussen.
„Üble Gerüchte“
„Hi Silvio“, schrieb Inge Delfosse, die Generalsekretärin des European Smokeless Tobacco Council am 19.März 2012 um 10.13 Uhr an den maltesischen Gastwirt und Lokalpolitiker Silvio Zammit. „In Brüssel fliegen üble Gerüchte herum. Kannst Du mich wissen lassen, ob es möglich wäre, ein informelles Treffen mit Dalli in Brüssel zu haben, und wie viel Du dafür verlangen würdest?“
Die „üblen Gerüchte“ betrafen Meldungen, wonach Dalli, der Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, das Tabakprodukt Snus auch in Schweden verbieten wolle. Snus, das man sich in Stoffsäckchen verpackt zwischen Zähne und Wange steckt, ist in der EU seit dem Jahr 1992 verboten; Schweden hat allerdings bei seinem Beitritt im Jahr 1995 eine Ausnahme erwirkt. An der Verbreitung dieser „üblen Gerüchte“ waren die Snus-Hersteller nicht unbeteiligt – im Gegenteil. „Das bedeutet das Ende für schwedischen Schnupftabak, wie wir ihn heute kennen“, sagte damals Patrik Hildingsson, der Vorstandsvorsitzende des größten Snus-Herstellers Swedish Match AB, zur Zeitung „Aftonbladet“.
Hier schließt sich der Kreis. Denn Hildingsson sitzt auch im Führungsgremium des European Smokeless Tobacco Council, der in Brüssel für die europaweite Zulassung von Snus lobbyiert. Um es auf den Punkt zu bringen: Während Swedish Match bei Olaf Anzeige gegen Zammit und Dalli erhob, fragte die von Swedish Match geführte Lobby bei Zammit an, was es kostet, ein „informelles Treffen“ mit Dalli einzufädeln.
Chaotische Kommission
„Diese Doppelrolle ist erstaunlich“, sagte im „Presse“-Gespräch Olivier Hoedeman vom Corporate Europe Observatory, der versucht, Transparenz in die oft trüben Brüsseler Entscheidungsprozesse zu bringen. Den Verdacht, dass Dalli gelinkt worden sein könnte, um ihn durch eine Anzeige bei Olaf aus der Kommission zu schießen, würde Hoedeman vorerst nicht unbedingt teilen. Der Umgang von Kommissionschef Barroso mit „Dalli-Gate“, wie diese Affäre bereits genannt wird, sei aber „sehr unprofessionell“ und „chaotisch“ gewesen: „Das könnte andere Leute auf die Idee bringen, wie man unliebsame Kommissare loswerden kann.“
Rupini Bergström, eine Sprecherin von Swedish Match, weist auf „Presse“-Anfrage allfällige Spekulationen zurück: „Swedish Match hat und hatte keine Beziehungen zu diesem Herrn aus Malta. Wir hatten nie E-Mail-Kontakt mit ihm. Und wir haben nie den Rücktritt eines EU-Funktionärs gefordert.“ Inge Delfosse vom European Smokeless Tobacco Council ließ eine Nachricht der „Presse“ unbeantwortet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2012)