EU-Gipfel: Solidarität oder Sparen - die Kluft wird tiefer

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Paris fordert finanziellen Beistand. Berlin wünscht sich eine fiskale Kontrolle. Am heute beginnenden EU-Gipfel werden die Auffassungsunterschiede zwischen den beiden Schwergewichten offen zutage treten.

Brüssel. Für François Hollande geht es bei dem am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel nicht nur um Krisenmanagement. Die größte Gefahr für Europa sei nicht der Zerfall der Währungsunion oder die Zahlungsunfähigkeit eines ihrer Mitglieder, sondern, „nicht mehr geliebt zu werden“, sagte Frankreichs Staatschef zu Wochenbeginn zur „Süddeutschen Zeitung“. Denn „Europa ist das schönste Abenteuer unseres Kontinents“. Dass dieses emotionale Vokabular im Gespräch mit einem deutschen Medium auftaucht, ist wohl kein Zufall. Denn wenn es um die Suche nach Auswegen aus der Schuldenkrise geht, bevorzugt Kanzlerin Angela Merkel einen betont pragmatischen Zugang. Auch von Abenteuerlust spürt man in Berlin wenig – von einem ausgeprägten Liebesbedürfnis ganz zu schweigen.

In Brüssel werden die Auffassungsunterschiede zwischen den beiden Schwergewichten der Union am Donnerstag und Freitag offen zutage treten. Und das, obwohl es dieses Mal wohl nicht um Konkretes gehen wird – der momentane Zustand der südeuropäischen Patienten steht ebenso wenig auf der Agenda wie ein Zwischenbericht der Troika (EU, EZB und IWF) zur Lage in Griechenland; auch was verstärkte Kooperation innerhalb der Eurozone betrifft, ist mit keinen Weichenstellungen zu rechnen, und die Diskussion über den neuen Finanzrahmen der EU hat man auf November verschoben.

Eine Frage der Reihenfolge

Die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland lassen sich anhand von zwei revolutionären Leitmotiven ausdrücken: Während Paris auf „Liberté, Égalité, Fraternité“ Wert legt – mit Betonung auf Freiheit (der einzelnen Regierungen in Budgetfragen) und Brüderlichkeit (also einer Vergemeinschaftung der Schulden) –, hält sich Berlin an das Motto „No taxation without representation“ – eine deutsche Teilhaftung für französische oder italienische Staatsschulden bzw. Bankeinlagen soll es erst geben, wenn ein Mitspracherecht auf europäischer Ebene garantiert ist. In Paris sieht man es genau umgekehrt: Die finanzielle Solidarität kommt zuerst, politische Reformen zu einem späteren Zeitpunkt.

Exemplarisch für diese Differenz ist die Debatte rund um die Bankenunion. Frankreich will, dass der europäische Rettungsfonds ESM marode Banken möglichst rasch refinanziert – damit soll der Teufelskreis aus faulen Krediten und ruinösen staatlichen Anleiherenditen unterbrochen werden. Deutschland wiederum will zunächst eine europäische Bankenaufsicht konstruieren, bevor es beim ESM zur Sache geht.

Abgewinkt wird ebenfalls bei einem Budget für die Eurozone, das sich François Hollande wünscht – in Berlin kann man sich lediglich ein zeitlich begrenztes „Anreizsystem“ etwa für Arbeitsmarktreformen vorstellen. Und wie steht es um einen Fonds zur solidarischen Schuldentilgung? „Wir lehnen ihn ab“, so die Antwort aus deutschen Regierungskreisen – knapper als die Ausführungen von Hollande. Dafür aber unmissverständlicher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2012)

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