Leopold-Museum: Zeigst du mir deins, zeig ich dir meins (nicht)

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„Nackte Männer“ bietet einen straighten, seriösen Überblick zur Entwicklung des Männerbildes in der Kunst an. Auf kulturhistorische Seitenblicke wird meist verzichtet. Obwohl sie manchmal spannender wären.

Wer hat Angst vorm Zorn des Achill? Wer die „Illias“ kennt, weiß, dass dieser recht sexuell motiviert war, wurde ihm doch gerade die Kriegsbeute aus dem Bett gerissen. Man muss die U-Bahnzeitung also wohl verstehen, wenn sie ihren Lesern gerade bei diesem brisanten Thema das Geschlecht des Helden vorenthalten möchte, sicherheitshalber sozusagen: Man legte dort gestern bei der Ankündigung der Ausstellung „Nackte Männer“ im Leopold-Museum doch tatsächlich ein Feigenblatt vors Achilles-Zipferl (und es ist in diesem Fall wirklich nicht viel mehr) im Klassizismus-Schinken François-Léon Benouvilles.


Es fällt schwer, eine Kunstgeschichte männlicher Nacktheit nicht als eine der Verhüllungen zu erzählen. Zu verlockend sind all die Geschichten – vom roten Balken, der gerade über die Geschlechter dreier Fußballspieler auf dem Werbeplakat der Leopold-Ausstellung gelegt werden musste. Von Klimts stilisiertem Bündelchen in Theseus' Schritt auf dem Plakat zur ersten Secessions-Ausstellung 1890, das erst aufgehängt werden durfte, als Klimt vor expliziter Stelle ein phallisches Bäumchen wachsen ließ. Von Michelangelos Akten in der Sixtinischen Kapelle, damals mit einem „unzüchtigen Badehaus“ verglichen, die man nach dem Tod des Meisters mit Tüchern verdecken ließ, „Hosenmaler“ musste sich Daniele Volterra fortan schimpfen lassen. Die Übermalungen sind heute großteils entfernt, nur über Petrus' bestem Stück liegt noch ein Schleier der Verdrängung.

„Blech vor den Schwanz hängen“

Feigenblätter über nackten Wahrheiten waren allerdings noch bis in die Zwischenkriegszeit üblich in Museen, aus Gips, aus Bronze, aus Papier. Mark Twain machte sich während eines Florenz-Aufenthalts darüber lustig. 1759 fand der deutsche Papst der Antikenbegeisterung, Johann Joachim Winckelmann, noch harschere Worte: „Diese Woche wird man dem Apollo, dem Laokoon und den übrigen Statuen im Belvedere ein Blech vor den Schwanz hängen [. . .]. Eine eselsmäßigere Regierung ist kaum in Rom gewesen, wie die itzige ist.“ So viel noch zur U-Bahnzeitung rund 250 Jahre später.

Tobias Natter und Elisabeth Leopold, die Kuratoren der Wiener Ausstellung, hielten sich mit derlei kulturhistorischen Sidesteps allerdings nicht auf. Sie wollen so straight wie möglich durch das monströse Thema pflügen, was ihnen vor allem im historischen Teil gelungen ist, im zeitgenössischen wird der Blick naturgemäß unsicherer. Gelungen ist dennoch ein Überblick, den man so noch nicht gesehen hat, vom ältesten „Nude in town“, einem ägyptischen Entertainment-Beamten von 2400 v. Chr. aus dem KHM bis zu Robert Mapplethorpes wie gemeißelt wirkenden SW-Fotos ikonischer Schwänze.

Das Herz aber bildet der Wiener Frühexpressionismus mit den ersten radikalen Künstler-Selbstakten der Geschichte von Richard Gerstl und Egon Schiele. Es ist eben kein Zufall, dass gerade in Österreich die Kunstgeschichte der männlichen Entblößung aufgearbeitet wird, doppelt sogar, vom Leopold-Museum und vom Lentos Linz (ab nächster Woche). In Wien um 1900 wurde der Blick gedreht, wurde aus dem voyeuristisch betrachteten Sexobjekt, das fesche nackte Knaben seit der Antike immer auch waren, das selbstkritische Subjekt. Fern vom Schutz-, Helden- und Harmonie-Ideal der Antike, fern von selbstbestimmter Bürger- bzw. stolzer Genieattitüde aus Renaissance und Klassizismus, die männliche Nacktheit rechtfertigten. Die weibliche Nacktheit kam übrigens vergleichsweise spät ins Spiel, erst 350 v. Chr. mit einer Venus-Skulptur von Praxiteles. Davor liefen die Damen bekleidet, die Männer nackt über Vase und Wandbild.

Die Diskussion, worin über die Jahrhunderte hinweg die Unterschiede in Darstellung und Rezeption zwischen nacktem Mandl und nacktem Weiberl lagen und liegen, lässt man hier aus Kapazitätsgründen weg, obwohl sie äußerst spannend wäre. Sie über einen Vergleich der Werbeplakate anzureißen, wie bei der Pressekonferenz, ist allerdings wenig hilfreich. Dass ein Farbfoto nackter Penisse mehr Leute aufregt als eine zeitgleich plakatierte strammstehende Nackte, gemalt von Klimt, ist kein Zeichen für irgendetwas. Sondern hat schlicht anatomische Gründe. Man sollte eher an Courbets berühmtes Gemälde „Ursprung der Welt“, den direkten Zoom aufs weibliche Genital, denken, das Facebook ratzfatz zensiert hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2012)

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