Nationalismus: Europas Separatisten im Aufwind

Europas Separatisten im Aufwind
Europas Separatisten im AufwindAP Photo/Bob Edme
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In Spanien, Großbritannien oder Belgien streben Regionen in der Krise immer mehr nach Unabhängigkeit. Sie wollen ihren Reichtum nicht mehr teilen.

Wien. Die Wirtschaftskrise reißt alte Wunden innerhalb der EU-Länder wieder auf: Immer mehr – überwiegend wohlhabende – Regionen streben nach kompletter oder teilweiser Unabhängigkeit von ihren krisengebeutelten Staaten. Zwar haben die einzelnen Separatistenparteien sehr unterschiedliche Geschichten und politische Ausrichtung, doch ihre Versprechen ähneln einander: Neben Selbstbestimmung basierend auf regionaler und sprachlicher Identität geloben sie mehr Wohlstand durch Selbstverwaltung.

So werden vermutlich bei den baskischen Regionalwahlen am Sonntag die Nationalisten mit ihrer Forderung nach mehr Wirtschaftsautonomie die regierenden Sozialisten ablösen. Ebenso wie Basken haben auch Katalanen, Flamen, Schotten oder Südtiroler das Gefühl, zu viel nach Madrid, Brüssel, London oder Rom zu zahlen und zu wenig dafür zurückzubekommen. Mit Parolen wie „Die Flamen haben es satt, wie Milchkühe gemolken zu werden“ gelang dem flämischen Separatistenchef Bart de Wever ein Erdrutschsieg bei Wahlen in Belgien.

Vieles spricht dagegen, dass die Bildung neuer Staaten ins Wirtschaftsparadies führt: Der katalanische Unternehmerverband warnt, dass bei einer Sezession größere Firmen abziehen könnten – aus Angst vor einer Isolierung Kataloniens. Flämische Nationalisten wiederum übersehen gern, dass sie im Fall einer Spaltung einen Großteil der belgischen Staatsschulden erben würden.

Der Trend zur Kirchturmpolitik

Es sind irrationale Gründe, die Separatisten Aufwind geben. In der Krise machen sie Hoffnung auf einen radikalen Neustart. Kirchturmpolitik – die Glorifizierung des Provinziellen – vermittelt zudem das Gefühl von Sicherheit.

Paradoxerweise befürworten Nationalisten eine starke EU – freilich mit mächtigen Regionen. Separatisten in Schottland, Flandern und Katalonien könnten sich vorstellen, ihre Außen- und Verteidigungspolitik Brüssel zu überlassen. Schottische Nationalisten wünschen sich sogar den Euro.

Im Überblick:

  • Basken: Baskische Rezepte gegen Krise

Die gemäßigten baskischen Nationalisten (PNV) werden laut Umfragen das autonome Baskenland ab Sonntag wieder regieren. Geschickt verspricht PNV-Kandidat Inigo Urkullu, mit „baskischen Lösungen“ den Weg aus der Wirtschaftskrise zu finden: Er fordert mehr Wirtschaftsautonomie für die wohlhabende Region, ab 2015 will er über eine Abspaltung von Spanien abstimmen lassen. Fast 50Jahre lang hat die Terrorgruppe ETA für Unabhängigkeit gekämpft: Bei etwa 4000 Anschlägen starben mehr als 830 Menschen.

  • Katalanen: Mehrheit will eigenen Staat

74 Prozent der Katalanen sind laut jüngsten Umfragen für die Bildung eines eigenen Staates– und darüber will der katalanische Ministerpräsident Artur Más seine Landsleute noch heuer abstimmen lassen. Geschickt macht der Nationalisten-Chef die Zentralregierung für die Wirtschaftsmisere verantwortlich, die auch die reichste Region des Landes plagt. Die Katalanen kämpfen seit Jahrzehnten für mehr Autonomie und haben bereits viel erreicht: So ist Katalanisch, neben Spanisch, als offizielle Sprache anerkannt.

  • Flamen: Loslösung vom armen Süden

Die flämisch-nationalistische Partei N-VA ist die stärkste Kraft im flämischen Norden Belgiens. Die Nationalisten fordern die Loslösung des wirtschaftlich starken Nordens von der ökonomisch schwachen – frankofonen – Wallonie im Süden. „Die Wallonen kosten jeden Flamen 900 Euro im Jahr“, lautet ihre populistische Parole. Von der Brüsseler Zentralregierung fordert die Flamenpartei nun unter ihrem Chef Bart De Wever, dass sie Belgien „umgehend“ in eine Konföderation umwandle.

  • Schotten: Abstimmung über Unabhängigkeit

Die Schotten werden im Herbst 2014 über ihre Unabhängigkeit abstimmen – das Referendum ist Ergebnis der Regionalwahl 2011, bei der die Schottische Nationalpartei (SNP) die Mehrheit errungen hat. Laut Umfragen will sich derzeit allerdings nur eine Minderheit von London trennen. Stimmung für die Abspaltung macht die SNP mit dem Argument, dass Milliardeneinnahmen aus der Verarbeitung des Nordsee-Öls nach London fließen würden. Und sie verspricht, dass die Schotten den Euro einführen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2012)

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