Ungarn verletzt EU- und Völkerrecht

Ungarn verletzt Voelkerrecht
Ungarn verletzt Voelkerrecht(c) EPA (Vassilis Ververidis)
  • Drucken

Ungarns Bodenschutzgesetz sieht umfangreiche Nationalisierungen vor. Es widerspricht der Menschenrechtskonvention, den EU-Freiheiten und der neuen Verfassung.

Innsbruck. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 hat der ungarische Premier Viktor Orbán – wie bereits in seiner ersten Amtsperiode 1998–2002 – ausländische Landwirte in Ungarn ins Visier genommen. Auch Österreicher fürchten nun um ihr Eigentum. Vor einer Woche hat Orbán die Tonart nochmals verschärft. Was steckt dahinter? Wäre eine Enteignung rechtlich überhaupt zulässig?

Nach der Wende 1989/90 wurde das fruchtbare Ackerland in Ungarn von Landwirten aus Westeuropa – und dabei gerade auch aus Österreich – entdeckt. Sie konnten in dem kapitalarmen Land relativ große Flächen zu günstigen Preisen erstehen und innerhalb weniger Jahre Betriebe aufbauen, die äußerst effizient wirtschaften, auch und gerade zum Wohle der ungarischen Volkswirtschaft.

Im Jahr 1994 wurde der Erwerb von Ackerland durch Ausländer mit dem „Ackergesetz“ praktisch unmöglich gemacht. Juristische Personen dürfen seitdem überhaupt kein Ackerland mehr erwerben – in der Vergangenheit hatten Ausländer ungarischen Grund häufig indirekt über Gesellschaftsanteile erworben. 1995 wurde das „Bodenschutzgesetz“ verabschiedet, das den ungarischen Staat verpflichtet, Ackerland in Naturschutzgebieten zurückzukaufen bzw. zu enteignen. Da die Ausweisung von Naturschutzgebieten in sehr großzügiger Form erfolgt ist und nach wie vor erfolgen kann, wäre damit die Basis für umfangreiche Nationalisierungen geschaffen.

Beim Beitritt nicht beachtet

Das Bodenschutzgesetz 1995 blieb allerdings auf der praktischen Ebene in der Zeit der sozialistischen Regierung zwischen 2002 und 2010 in Ermangelung von Budgetmitteln unangewendet. Dies mag auch der wesentliche Grund dafür sein, dass es durch die Maschen der EU-Kontrollen im Rahmen des ungarischen Annäherungsprozesses an die EU schlüpfte. Ungarn trat der EU am 1.Mai 2004 mit aufrechtem Bodenschutzgesetz bei: im Nachhinein betrachtet ein unverständlicher Vorgang!

Was den Ausländergrundverkehr betrifft, wurden Ungarn großzügige Übergangsfristen gewährt. Nach der letzten Verlängerung sollen diese am 1. Mai 2014 auslaufen.

Zur Unterlaufung dieser Frist wurden in Ungarn sogenannte „Taschenverträge“ angeboten: heimlich geschlossene Vorverträge, die nach dem Ende der Übergangsfrist gleichsam „aus der Tasche“ gezogen werden sollen und eine grundbücherliche Eintragung der schon vor Jahren erworbenen Flächen sicherstellen sollen. Der ungarische Staat hat diese gegen das Ackergesetz verstoßenden Verträge für nichtig erklärt, und Personen, welche am Zustandekommen solcher Verträge beteiligt waren, sollen ab Mitte nächsten Jahres mit Strafsanktionen belegt werden. Vor allem dienen diese Verträge aber als willkommener Anlass, politisch gegen ausländische, vor allem österreichische, Grundbewirtschafter mobil zu machen.

Müssen nun österreichische Grundbesitzer, die bereits vor dem Inkrafttreten des Ackergesetzes 1994 rechtmäßig Eigentum erworben und dieses auch im Grundbuch eingetragen haben, um ihr Land fürchten? Finden rechtsstaatliche Kriterien Anwendung, wohl kaum. Die neue ungarische Verfassung (in Kraft seit 1.Jänner 2012) verbürgt einen international vorbildhaften Eigentumsschutz. Das behauptete öffentliche Interesse an einer Enteignung von Naturschutzgebieten nach Maßgabe des Bodenschutzgesetzes kann auf dieser Grundlage nicht Bestand haben.

„Voller Schutz“ für Investitionen

Zusätzliche Verteidigungslinien werden durch die Europäische Menschenrechtskonvention (Eigentumsschutz, 1. Zusatzprotokoll, Art. 1) sowie durch bilaterale Investitionsschutzabkommen gezogen. Das österreichisch-ungarische Abkommen aus 1989 lässt keinen Zweifel daran, dass Investitionen „voller Schutz“ zu gewähren ist und dass eine Enteignung eine Entschädigungspflicht zu Marktwerten zur Folge hätte. Enteignete Investoren haben Zugang zum Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington.

Zudem würden solche Enteignungen EU-Grundfreiheiten (insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit) und den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verletzen. Die ungarische Regierung mag damit spekulieren, dass die Finanzkrise die europäischen Institutionen voll und ganz im Banne hält. Enteignungen der angekündigten Art sollten aber die EU-Kommission wohl politisch zum Handeln zwingen.

Weshalb dieses Spiel mit dem Feuer? Man mag auf den ersten Blick auf nationalistischen Übereifer tippen. Eine prosaischere Antwort liefert ein Blick in das ungarische Einkommensteuerrecht: Danach sind Erträge aus Pachtverhältnissen mit mindestens fünf Jahren Laufzeit steuerbefreit. Investitionen in Agrarland sind also äußerst attraktiv. Ausländische Investitionen erhöhen den Grundpreis und vermindern die Rendite. Laut Medienberichten verfügen 58% der ungarischen Parlamentarier über Agrarland, das sie größtenteils verpachten.

Univ.-Prof. Peter Hilpold lehrt Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Ungarn weitet Zwangsverstaatlichungen aus

Die österreichische Firma Saubermacher verkauft eine Tochter in Ungarn. Zuvor hat die Budapester Regierung die Verstaatlichung der Abfallwirtschaft beschlossen. Auch Banken klagen über Probleme.
Hungarian Prime Minister Orban attends news conference in Budapest
Österreich

Enteignung? Ungarn droht österreichischen Firmen

Rechtsstreit. Nächste Woche könnte Ungarn ein Verstaatlichungsgesetz für die Abfallwirtschaft beschließen, befürchtet die steirische Firma Saubermacher. Die Regelung soll bereits Anfang 2013 in Kraft treten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.