Rapper gegen Popper, ein Kampf der Kulturen?

Das Befremdliche an der Konfrontation zwischen Sido und Dominic Heinzl war, dass die Aggression offenbar völlig einseitig war.

„Du Sohn einer Hündin!“ Wer Karl Mays orientalische Romane gelesen hat, kennt dieses Schmähwort – und weiß wohl auch, dass es eine beschönigende Übersetzung aus dem Englischen ist: „Bitch“ heißt zwar Hündin, aber auch Hure. Schon das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm nannte „Hurensohn“ als Schimpfwort – und zitierte aus Schillers „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ (1783): „Heraus, Hassan! Hurensohn der Hölle!“, ruft Fiesco und will damit explizit den „Hass verstärken“.

Die Kränkung der Mutter ist in vielen männerrechtlichen Gesellschaften, in denen die „Ehre“ der Frauen quasi ein ideelles Besitztum der Männer ist, eine besonders arge Beleidigung. Auch in der Hip-Hop-Kultur, der sich Sido, Sohn eines Deutschen und einer Sintiza (die „Zigeunerin“ zu nennen ihn gewiss kränken würde), zugehörig fühlt. Zwar wurde „bitch“ – ähnlich wie „nigger“ – innerhalb der Szene positiv umgedeutet und steht oft für eine sich ihrer selbst und ihrer Rechte bewussten Frau. Doch wer in einer „rap battle“ die Mutter des Gegners so nennt, sprengt die Grenzen des Spiels.

Es war keine Rap-Schlacht auf dem Küniglberg. Das Befremdliche an der – mittlerweile auf YouTube multiplizierten – Konfrontation zwischen Dominic Heinzl und Sido ist, dass sie einseitig war: Heinzl schien weder die jähe Aggression zu verstehen noch die Form, in der sie vorgebracht wurde. In seinen Kreisen schimpft man nicht „Hurensohn“, man spuckt nicht und legt nicht dem Gegner, den man „auf die Fresse“ schlagen will, davor scheinbar begütigend den Arm um die Schultern. Das war ein „Clash of Cultures“, ein Zusammenprall, dessen Videodokumentation ins Archiv der Verhaltensforschung gehört.

Von den „tribes“ der Jugendkultur sprechen deren Interpreten gern. Doch ursprünglich waren (und sind) diese „Stämme“ Repräsentanten sozialer Schichten. Die klassische Konfrontation war in den Sechzigerjahren jene zwischen Mods und Rockern (legendärerweise am Strand von Brighton); dabei waren die Mods zwar auch teilweise aus der Unterschicht, aber sozusagen aufstiegswillig, ihr Habitus übersteigerte den gutbürgerlichen Kleidungsstil ins Manische. Selbst in Wien-Döbling gab es in den Achtzigerjahren – als dort die soziale Durchmischung noch größer war – ähnliche Konfrontationen zwischen Rockern und Poppern. Man wird nicht ganz fehlgehen, Dominic Heinzl nicht nur aufgrund seiner Frisur eine Nähe zu letzterer Gruppe zu attestieren.

Kultur, auch TV-Unterhaltung, hat u.a. die Funktion, solche Konflikte zu sublimieren, durch Ritualisierung und Selbstironie. Sido, der Mann, dem der ORF für sein „Große Chance“-Spiel die Rolle des „gezähmten Wilden“ zugeteilt hat, hat am Freitagabend diese Sublimation offensiv verweigert.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2012)

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