Ungarn: Linke zaubert „Messias" Bajnai hervor

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Zum Gedenken an den Aufstand 1956 gingen Hunderttausende jeder politischen Couleur auf die Straße. Ex-Premier Bajnai meldete sich in einer Rede auf der politischen Bühne zurück.

BUDAPEST. Das Warten der ungarischen Linken auf einen Heilsbringer könnte ein Ende haben. Ex-Premier Gordon Bajnai (2009-2010) meldete sich ausgerechnet am ungarischen Nationalfeiertag zum Gedenken an den Volksaufstand der Magyaren 1956 auf der politischen Bühne zurück. Als Politiker war Bajnai seit den Parlamentswahlen 2010 nicht mehr in Erscheinung getreten. Bühne für sein politisches Comeback war gestern, Dienstag, die Kundgebung der Facebook-Bewegung „Eine Million für die Pressefreiheit" (Milla), die 2011 aus Protest gegen das heftig umstrittene Mediengesetz der nationalkonservativen Regierung von Viktor Orbán gegründet worden war.

In einer Rede vor zehntausenden Menschen bei der Budapester Elisabeth-Brücke rief Bajnai die politische Linke dazu auf, endlich an einem Strang zu ziehen. Nur so könne dem „antidemokratischen und wirtschaftlich verheerenden Kurs" der Regierung Orbán ein Ende gesetzt werden. Bis zur Parlamentswahl 2014 will Bajnai dieses Ziel vor allem über seine Bewegung „Heimat und Fortschritt" verfolgen, die künftig eng mit Milla und der Gewerkschaftsbewegung „Szolidaritás" zusammenarbeiten wird.

Orbán gegen „Bevormundung" durch EU

Bajnai und seine Anhänger waren nicht die einzigen, die am Dienstag zum Gedenken an den Aufstand von 1956 auf die Straße gingen. Zigtausende nahmen an einem „Friedensmarsch" teil, den Orbán veranstaltete. Orbán verurteilte in seiner Rede die angebliche Bevormundung seines Landes durch die EU. „Nicht andere mögen uns sagen, was wir zu tun haben", sagte er. Die EU müsse endlich verstehen, dass sie „ohne Nationen kein Herz, ohne Christentum keine Seele" habe.

Ex-Premier Bajnai, der die Macht Orbáns brechen will, könnte auch eine Zusammenarbeit mit der von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány (2004-2009) angeführten „Demokratischen Koalition" (DK) eingehen. Dieser hatte seinen „Freund" Bajnai in den vergangenen Wochen mehrmals öffentlich dazu aufgerufen, in die Politik zurückzukehren, um das linksliberale Lager zu einen. Mit seinem gestrigen Auftritt brachte sich Bajnai aber nicht zuletzt auch als Spitzenkandidat einer möglichen parteiübergreifenden Links-Allianz bei den Wahlen 2014 ins Spiel.

Letzter Trumpf der Linken

Dass Bajnai von vielen Ungarn heute als großer Hoffnungsträger betrachtet wird, kommt nicht von ungefähr: Das Warten auf einen Messias hat in Ungarn eine lange Tradition. Dem jetzigen Premier Orbán wurde diese Rolle einst ebenso zugeschoben wie Ex-Regierungschef Gyurcsány. Beide konnten aber die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Nun ist offenbar Bajnai an der Reihe, die Hoffnungen vieler Ungarn nach einem besseren Leben zu stillen.

In den Augen vieler Linker gilt Bajnai als letzter Trumpf, um Orbáns Wiederwahl 2014 zu verhindern. Bajnai wird als jemand angesehen, der die in viele Parteien, Bewegungen und Gruppierungen zersplitterte Linke in Ungarn nach dem Vorbild der italienischen Olivenbaumkoalition unter Romano Prodi (1996) unter einem Dach vereinigen könnte. Aus sämtlichen Umfragen geht hervor, dass die Linke gegen Orbáns Regierungspartei Fidesz nur in einer Allianz gewinnen kann.

Bajnai wird von vielen aber auch als Garant dafür gesehen, die desolate Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Ihm war es an der Spitze einer Expertenregierung seinerzeit gelungen, Ungarn vor einem Bankrott zu retten. Vielen klingt heute auch noch seine Offenheit in den Ohren, als er bei seinem Amtsantritt 2009 sagte, die Maßnahmen seiner Regierung würden „wehtun".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2012)

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