Elektra trifft den Ton der Tragödie

Elektra
ElektraHERWIG PRAMMER
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Michael Thalheimer hat Hugo von Hofmannsthals Drama subtil, aber kraftvoll inszeniert. Christiane von Poelnitz spielt die Titelrolle ungeheuer intensiv.

Dieses Bild raubt einem die Luft, es erzeugt bei all seiner Großzügigkeit Platzangst. Über die ganze Breite der Bühne des Burgtheaters hat Olaf Altmann eine dunkelgraue Wand gebaut. In der Mitte ist von ganz oben bis zwei Meter über dem Boden ein Spalt, leicht geneigt, als ob dieser beängstigend enge Raum zu einer steinalten Grabkammer führte. Vorne auf dem Boden dieses Gangs spielt Hugo von Hofmannsthals (1903 von Max Reinhardt in Berlin uraufgeführte) Tragödie „Elektra“. 80 Minuten lang, bis zum grauenhaften Ende, sieht man dieses Bühnenbild und entkommt ihm nicht. Nur das Licht ändert sich, aber die von Christiane von Poelnitz gespielte Titelheldin ist auf diese Engführung fixiert, die Mitspieler, die Elektra aufsuchen, sind ihr ausgeliefert, und auch das Publikum.

80 pausenlose Minuten, das klingt nicht besonders lang. Diese Aufführung aber kommt an die Grenze des Erfassbaren und des gerade noch zu Ertragenden, so intensiv wirkt die Sprache, so kompromisslos dicht wird gespielt. Am Schluss, beim lang anhaltenden Applaus nach der Premiere am Donnerstag, schien Frau von Poelnitz völlig erschöpft – sie hat unter Michael Thalheimers in der Zurückhaltung subtiler, im Effekt kraftvoller Regie einen großen Abend gegeben, bei dem das kleine Ensemble in jeder Phase harmonierte und vor allem die drei Frauen einen starken Eindruck hinterließen.

Ein Stück von Sophokles mit Koloratur

Zeitlos wirken die grell geschminkten Damen unter Scheinwerfern, harte Schatten erzeugen Grimassen. Die Tochter erscheint alt wie ihre Mutter Klytämnestra, (Catrin Striebeck). Auch Elektras Schwester Chrysothemis (Adina Vetter), die sich hinaussehnt aus der Enge, Vergangenes ruhen lassen, Kinder haben und sich das Verderben der Sippe des Agamemnon runterwaschen will, wird am Ende hohl sein, gerade in der Stunde blutigen Triumphs, wenn der Tod des Vaters durch ihren Bruder Orest gerächt ist, wenn die Mutter und deren Lover niedergestreckt werden. Die Frauen wirken wie ein Mensch in seinem Widerspruch, unterscheiden sich bei der Analyse nur in der Perspektive, die jeweils auf all das Vergangene, das bisschen Zukunft oder Hirngespinste ausgerichtet ist.

Hofmannsthals „Elektra“ sei Sophokles mit Koloratur, schrieb Alfred Polgar, ein Drama in einem Akt, in einem Atem, „...welche Fähigkeit, den Ton zu halten, ohne Zittern und Umschnappen, ohne Riss und Bruch.“ Elektra sei ein Instrument mit einer einzigen Saite, eine Rachejungfrau mit Krallen und blutigen Augen. Von Poelnitz, aber auch Striebeck und Vetter gelingt es, die überhöhten Figuren voll Ernst zu repräsentieren, ohne beim vorgegebenen hohen Ton jemals Gefahr zu laufen, ins Lächerliche zu kippen. Das Pathos bringt nicht zum Lachen, es wird fein differenziert. „Allein“, sagt Elektra und unterbricht so eingangs das Sprachlose. Von Poelnitz in stahlblauem Kleid wird den exponierten Platz an der Rampe, den sie von E-Gitarren begleitet erkämpft, erst am Schluss, nach Vollendung ihres Mythos verlassen, wenn sie sich von der Plattform mit einem gelenkigen Überschlag auf die Vorbühne herablässt. Davor empfängt diese Elektra ihre Gesprächspartner wie eine Königin, für jede und jeden hat sie eine eigene Kommunikationsstrategie.

Natürlichkeit bei all der feierlichen Sprache

Bei der Schwester scheint sie unverstellt, auf Rache für den Vater drängt sie, der von Klytämnestra und Ägisth vor langer Zeit gemordet wurde. Doch Chrysothemis in ihrem hellen leichten Kleid will keine Vergeltung, sondern ein normales Leben. Hoffnungsschimmer für beide: die Rückkehr des Bruders. Doch Gerüchte gehen um, dass er gestorben sei, dass die Schwestern nun in großer Gefahr seien. Es ist fantastisch, wie differenziert von Poelnitz und Vetter mit den Projektionen spielen, so genau nämlich, dass sie bei all der feierlichen Sprache nie aus der Rolle fallen, mit selbstverständlicher Natürlichkeit immer im Heute bleiben.

Ganz anders reagiert Elektra auf die Mutter. Lauernd, wissend um das Ende und deshalb sogar fast schon im Triumph, obwohl alles verloren scheint. Striebeck legt ihre Rolle, den Kontrapunkt zur nicht verzeihenden Tochter, äußerst fein an. Dem Herrischen der schwarz gewandeten Königin ist Zweifel beigemischt, als wäre Klytämnestra immer auch bewusst, dass sie Elektra ausgeliefert ist. Striebeck ist hier eine echte Tragödin, ihr Mienenspiel treibt sie sehr weit, bis zur Fratze, während sich von Poelnitz in diesen Momenten klug zurücknimmt.

Als Zerrissene erscheint Elektra dann in der Begegnung mit dem fremden Bruder. Wie ein Versehrter stapft Tilo Nest als Orest vom schmalen Gang hinten nach vorn zu seiner Begegnung mit der Schwester, beschmutzt, verwundet, in Unterhosen. Fünfmal brüllt er: „Nein!“ Der Bruder ist nicht tot. Fünfmal schreit die Schwester seinen Namen. Da haben sie sich erkannt, bereit zur Tat, die Elektra sich so blutrünstig in allen Variationen ausgemalt hat. Und dann vergisst sie das Beil für die Mutter!

Noch aber muss der Mörder getäuscht werden. Ägisth (Falk Rockstroh) kämpft sich nach vorn, im blaugrauen Staubmantel, verwahrlost wie Orest, mit einem blutigen Mal auf der Stirn. Auch er wirkt wie ein Untoter, brüllt, stützt seinen Fuß auf die Liegende, die es vermeidet, ihm ihr Gesicht zu zeigen. Er hat keine Chance. Er weiß das auch. „If nothing ends when all is done“, behaupten Soap&Skin im Song „Aerostat“, der für diese Aufführung komponiert wurde. So viel zeitlose Tragik vermittelt Hofmannsthal. Hier ist es gelungen, sie unverstellt zu erleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2012)

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