Daumen hoch, Daumen runter

Washington Post
Washington Post(c) AP (Haraz N. Ghanbari)
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Zeitungen üben im Wahlkampf ihren Einfluss durch Wahlempfehlungen aus. Die Fronten sind dabei klar gezogen.

Washington. Eigentlich müsste der „New Yorker“ kein Wort darüber verlieren, wen er bei der Präsidentschaftswahl favorisiert. In seiner Biografie „The Bridge“ porträtierte David Remnick, der Chefredakteur des Intellektuellenmagazins, den Präsidenten schließlich auf mehr als 600 Seiten als eine Ausnahmeerscheinung. In einem ellenlangen Editorial der aktuellen Doppelnummer zur US-Wahl spricht sich der „New Yorker“ denn auch für die Wiederwahl Barack Obamas aus – eine „Angelegenheit von großer Dringlichkeit“. Eine zweite Amtszeit würde der Nation einen nachhaltig positiven Stempel aufdrücken, schreibt das Blatt.

Zwar habe der Präsident manche Erwartung der progressiven Stammklientel des „New Yorker“ enttäuscht. Als da wären: die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba, Gesetze zur Waffenkontrolle und zur Eindämmung des Klimawandels. Doch Obama habe epochale Reformen in die Wege geleitet, dem Amt und dem Land weltweit wieder Ansehen verschafft. Überdies seien die Republikaner, echauffiert sich das Magazin, Bösewichte von „Dickens'schen“ Dimensionen, erzreaktionär und lediglich auf Fundamentalopposition aus.

Ein Blick aufs Cover hätte genügt. Barry Blitt schuf eine Karikatur Mitt Romneys, in der die Verachtung der linksintellektuellen Elite mitschwingt: Ein Tattoo-Künstler streicht die auf dem Oberarm des Kandidaten tätowierten Positionen mit einem Federstrich durch. Eine nach der anderen: die von den 47 Prozent staatlichen Almosenempfängern oder von der Selbstabschiebung illegaler Immigranten. Ezra Klein, Kolumnist der „Washington Post“, charakterisierte Romney als „Multiple-Choice-Mitt“.

Zehn Tage vor der Wahl ist in den USA wieder die Zeit der Wahlempfehlungen der Zeitungen angebrochen. Die sogenannten „Endorsements“ haben Tradition in der US-Demokratie. Die Fronten der großen Blätter sind dabei klar gezogen: Die liberalen Flaggschiffe „New York Times“, „Los Angeles Times“ und „Washington Post“ unterstützen den Präsidenten. Die Hauptstadtzeitung plädierte für „Four more years“, ein Echo des Slogans der Obama-Anhänger.

Das wirtschaftsliberale „Wall Street Journal“ wiederum hält trotz Kritik an Romney fest. Nach der Übernahme durch Medienmogul Rupert Murdoch ist das Zentralorgan der Finanzwelt, zumindest auf der Meinungsseite, zum konservativen Kampfblatt mutiert. Karl Rove, George W. Bushs Wahlkampf-Mastermind, wütet in einer fixen Kolumne gegen die Regierung. Auch das zweite Murdoch-Blatt, die Boulevardzeitung „New York Post“, senkte den Daumen gegen „Bam“ – so apostrophiert die „Post“ Obama.

Buhlen um Herausgeber

Um die Unterstützungserklärung der regionalen Blätter in den wahlentscheidenden „Swing States“ ist derweil ein Ringen entbrannt. In Ohio, Florida, Virginia oder Iowa buhlen die Kandidaten um die Gunst der Herausgeber und ihrer Kommentatoren. 2008 sprach sich der „Orlando Sentinel“ für Obama aus, diesmal für Romney. Dem „Des Moines Register“, der einflussreichsten Zeitung in Iowa, gewährten beide Kandidaten ein Interview. Um das Hintergrundgespräch des Präsidenten entzündete sich indes eine Kontroverse, weil das Blatt das Interview entgegen der Abmachung abdrucken wollte. Um die Meinungsmacher nicht zu brüskieren, die in der Nacht auf Sonntag ihre Wahlempfehlung preisgeben wollten, gab das Weiße Haus schließlich seine Einwilligung.

Der Leitartikel könnte ja den Ausschlag geben über Sieg oder Niederlage in dem Agrarstaat im Mittleren Westen, in dem Farmer und evangelikale Christen das Sagen haben. Vor vier Jahren hatte der Hoffnungsträger Obama dort leichtes Spiel, die Elogen von damals sind heute aber längst vergilbt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2012)

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