Die Generalsanierer eines wunden Planeten

EOOS Design
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EOOS Design will die Welt verbessern: jene, in der exklusive Möbelentwürfe stehen. Und jene, die nicht einmal die einfachsten Toiletten kennt. Dazu zetteln die Gestalter die "Designrevolution" an.

Sie präsentieren noch bis nächsten Sonntag die Ausstellung „Werkzeuge für die Designrevolution“ im Designforum in Wien, wie auch schon in Workshops zuvor. Die ganze Welt wollen Sie zum Labor der „Designrevolution“ machen. Ist das die zukünftige Arbeitsstätte des Designers?

Harald Gründl: Die Art und Weise, wie wir unser Leben mit Dingen ausgestalten und der Lebensstil, den wir pflegen, das geht auf Kosten anderer, großer Teile dieser Welt. Diese Erkenntnis ist zwar alles andere als neu, doch heute ist sie objektivierbar. Und noch dazu ganz einfach nachvollziehbar, anhand von simplen Modellen: etwa dem ökologischen Fußabdruck oder der 2000-Watt-Gesellschaft, die den postulierten täglichen Energiebedarf jedes Menschen beschreibt. Das und Ähnliches haben wir in den Workshops gezeigt. Und wir präsentieren in der Ausstellung, dass es in dieser Situation, in der wir uns befinden, neue Formen der Solidarität braucht. In einer Gesellschaft, die sich sehr kompetitiv entwickelt hat. Und vielleicht ist es auch eine Art von Gestaltungsaufgabe, diese neuen Formen der Solidarität zu definieren.

Das Design soll für „alle“ sein, aber die Entwürfe von EOOS sind zum Großteil für eine exklusive Menschengruppe bestimmt – die Konsumenten, die sich Designermöbel, -küchen und -bäder kaufen. Ist Ihre Forderung nach einer Revolution nicht paradox?

Wir arbeiten viel im Premium-Segment, ja. Aber ich denke, genau das kann das Feld sein, in dem vielleicht die Ressourcen vorhanden sind, um an diesem Wandel, den wir im Design brauchen, zu forschen. Es kann das Terrain sein, um neue Denkwege im Design exemplarisch zu gehen. In anderen extrem preisgetriebenen Segmenten ist es eben schwierig, in die Forschung zu investieren.

Das heißt, würde EOOS nicht auch das Premium-Segment bedienen, könnte sich das Büro die Auseinandersetzung mit sozial relevanten Dingen sprichwörtlich nicht leisten? Wie etwa das Konzept für Algenkraftwerke oder zuletzt das Sanitärkonzept der „Diversion Toilet“, das Bill Gates explizit lobte?

Das trägt sicher dazu bei, dass wir das in dieser Intensität tun können. Außerdem hängen die Ideen, die für ein spezielles Designsegment entstehen, auch in einem größeren Kontext drinnen. Schauen Sie sich etwa die „Open Space“-Duschecke an, die wir für den Hersteller Duravit gemacht haben. Das ist natürlich etwas für höhere Einkommensschichten. Doch wir zeigen dabei, dass man mit radikal weniger Platz ein Badezimmer gestalten kann. Eine Lösung, die in einem größeren Kontext alle betrifft. Denn: Städte müssen sich in Zukunft verdichten, es geht gar nicht anders. Und so müssen sich auch Lebensstile verändern. In dem Segment, in dem wir hauptsächlich arbeiten, haben wir die Möglichkeit, prototypisch Lebensstile zu entwickeln. Und das führt zu einer größeren Wahrnehmung einer neuen Denkmöglichkeit.

Eine Dusche für Besserverdiener, dann eine Toilette für die Ärmsten der Welt. Sie springen zwischen den Welten.

In einem größeren Maßstab zu denken, das ist eine existenzielle Frage. Viele glauben, mit ihrer alten Haltung, in Pension gehen zu können. Ich glaube, solange man Veränderung gestalten kann, muss man jede Möglichkeit dazu nutzen, dies auch zu tun. Und die „Diversion Toilet“, die wir gemeinsam mit der Schweizer EAWAG entwickelt haben, ist ein gutes Beispiel (siehe Bericht unten). Dabei geht es ja nicht nur um ein „Klo für Arme“. In Indien hat jeder dritte Handybesitzer keine ausreichende Sanitärgelegenheit. Da merkt man, dass auch Menschen, die nur über zwei Dollar am Tag verfügen, ihre Konsumentscheidungen sehr bewusst treffen. Und Teil des Konzepts war auch, dass es so attraktiv sein soll, dass es sowohl in Entwicklungsländern als auch bei uns eingesetzt werden kann.

Wie ist EOOS auf den Partner, die Schweizer EAWAG gestoßen?

Der Ansatz für das Klo war ja ein technologischer. Ein Klo, das „off-grid“ funktioniert, sollte es sein. Das heißt: Da kommt kein Strom, kein Wasser rein. Und da kommt nichts raus. Das ist wie im Weltraum. Produkte müssen immer einen systemischen Kontext haben. Normalerweise drückt man beim Klo einfach eine Taste, und alles verschwindet von der Bildfläche. Doch auch das System dahinter, das nicht sofort offensichtlich ist, gilt es zu gestalten. Deshalb haben wir mit der EAWAG geredet, einem weltweit führenden Wasserforschungsinstitut, das zur ETH Zürich gehört. Und dann haben wir überlegt, was Design dazu beitragen kann, dass Gesamtsysteme neu gedacht werden.

Der Weltraum könnte da eine gute Schule sein. Dort stellt man ja nicht einfach so den Müll vor die Tür.

Wir müssen uns ansehen, hier auf der Erde, was es bedeutet und was passiert, wenn Systeme nicht fertig gedacht werden. Im Falle des Klos bedeutet das in den Slums der Städte: verseuchter Boden und kranke Menschen.

Sie haben einmal geschrieben, man müsse die neuen Dinge auf ihre soziale Relevanz hinterfragen. Und im Zweifelsfall lieber bleiben lassen.

Dass wir zu viele Dinge haben, das weiß ohnehin jeder. Dahinter steckt natürlich das Wachstumsparadigma, das eben noch nicht durch ein neues, besseres Paradigma abgelöst wurde. Doch die Frage stellt sich natürlich: Was ist denn Innovation? Sie dient im Grunde als Rechtfertigung, das Alte durch das Neue zu ersetzen. Doch was empfinden wir als innovativ? Da gab es eine Zeit im Design, da war das vollkommen klar. Das konnte die ästhetische Arbeit sein, das Feld der künstlerischen Innovation. Oder das Material. Ein Stuhl aus einem neuen, hoch technologischen Material, das wirkte immer innovativ. Selbst, wenn er teurer wird und schwer in einen Materialkreislauf zu integrieren. Mittlerweile denke ich, dass radikal billig innovativ wäre. Und genau das versuchen wir: radikale Innovation. Das Verfügbarmachen von Technologie zu einem radikal günstigen Preis. Eine Toilette, die fünf Cent pro Tag kostet. Nicht eine Weltraumtoilette, in die man Millionen investieren muss.

Doch die Radikalität des Wandels muss, selbst wenn sie vom Design getrieben wird, an ihre Grenzen stoßen – an die politischen, psychologischen, aber auch an die ästhetischen Grenzen.

Natürlich ist es auch eine Frage, ob wir mit der alten, gewohnten Ästhetik nachhaltig sein können. Aber die Nachhaltigkeitsfrage ist vor allem dadurch komplex, dass sie nicht aus dem Bauch zu entscheiden ist. Ein Beispiel ist etwa die Plastiksackerldiskussion, das hängt ja alles mit dem Gebrauch zusammen. Da muss das Design in Zukunft sehr informiert in die Prozesse hineingehen. Es reicht nicht, ein Produkt zu gestalten, man muss auch den Lebenszyklus des Produkts oder einer Dienstleistung gestalten. Was geschieht davor, was danach? Und dafür braucht man mehr Wissen, Haltung und Ambition. Ob ein Produkt letztendlich schön oder „schiach“ ist, kann man erst dann sagen, wenn man sieht, wie es produziert und entsorgt wird. Diese Informiertheit fordere ich schon von den Designern ein. Die Naivität, mit der Design noch in den Neunzigerjahren gemacht wurde, hat keinen Platz mehr.

Mit welchen Dingen kann man nun die geforderte „Designrevolution“ angehen?

Wir sind einfach an einem Punkt angelangt, an dem es guten Grund gibt, ganz viele Dinge neu zu denken und zu entwerfen. Wir müssen diese Welt umbauen, uns der Komplexität stellen. Und in den Workshops und in der Ausstellung wollen wir zeigen, dass die „Werkzeuge der Designrevolution“ gar nicht so schwierig sind. Eine Küchenwaage, eine Taschenrechner, ein Strommessgerät etwa. Man braucht nicht einmal einen Computer dazu, um bestehende Dinge zu verbessern. Die Werkzeuge für nachhaltiges Design finden sich in fast jedem Haushalt.

Was müssen Designer noch lernen, außer die Werkzeuge richtig zu bedienen?

Das systemische Denken. Ein Beispiel: Auf einem T-Shirt steht drauf, dass es kompostierbar ist. Schön und gut. Denn wenn ich es in die Biotonne werfe, wird es nicht kompostiert – in Wien gibt es keine industrielle Kompostierung von Plastiksackerln oder T-Shirts. Doch das wäre systemrelevant. So brauche ich mich als Konsument gar nicht besser fühlen, wenn ich etwas Kompostierbares kaufe. Dann hat es wenig Sinn, das kompostierbare T-Shirt auf den Biomüll zu werfen. Davon wird's auch nicht besser.

Weltverbesserung

Die Ausstellung „Werkzeuge für die Designrevolution“zeigt noch bis Sonntag, den 4. November, wie das Design in seine neue Rolle wachsen kann: neue Denkmodelle zu entwickeln, die die Welt nachhaltig verbessern. Im designforum Wien, im Wiener Museumsquartier.

EOOS Designdesignten Kugelschreiber für Lamy, Möbel für international renommierte Hersteller wie etwa Walter Knoll oder Matteo Grassi. Dazu Sanitäreinrichtungen für Duravit und Küchenkonzepte für Bulthaupt. Seit Jahren widmet sich das Büro mit Sitz in Wien auch den großen, globalen Fragen, für die Design Antworten liefern könnte.

Institute for Design Research (IDRV)
Harald Gründl, Managing Partner bei EOOS, leitet seit 2008 das Institut, das sich mit akademischen Designthemen beschäftigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2012)

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