Würdevoll Abschied nehmen

Nur die besten Journalisten schreiben in angloamerikanischen Medien für die Nachrufseiten.

Zuletzt hatte die „New York Times“ wieder bewiesen, wie das geht – würdevoll Abschied nehmen: Als Arthur Ochs Sulzberger, der langjährige Herausgeber und Verleger der Zeitung Ende September verstarb, veröffentlichte die Zeitung einen seitenlangen Nachruf, der in seiner eloquenten und kurzweilig geschriebenen Art ohne Weiteres das Einführungskapitel für eine ausführliche Biografie hergeben könnte. Zusätzlich wurden Fotostrecken und ein 15 Minuten langes Video veröffentlicht. All das kann selbst die beste Redaktion eines Landes nicht innerhalb weniger Stunden aus dem Ärmel schütteln.

Nachrufe wie dieser sind meist lange vorbereitet und werden von Zeit zu Zeit aktualisiert. Dabei gilt auch in Österreich und Deutschland die ungeschriebene Regel, je prominenter ein Mensch ist, desto eher wird zur Sicherheit ein Nachruf vorbereitet. Während aber deutschsprachige Zeitungen tatsächlich nur Nachrufe über prominente Politiker, Schauspieler oder Wissenschaftler veröffentlichen, ist es in den angloamerikanischen Printmedien üblich, auch weniger prominente oder der Allgemeinheit völlig unbekannte Persönlichkeiten mit einem Nachruf zu verabschieden. Dabei bilden die besten Schreiber einer Redaktion die sogenannte „Obituary-Section“. Nachrufreporter treffen die zu porträtierenden meist zu Lebzeiten, telefonieren mit Angehörigen, Kollegen und engen Freunden. Einen Einblick in den Alltag dieses Berufs gab u.a. die Autorin Lily Brett in ihrem Buch „Einfach so“ – darin ist die Hauptfigur Esther freie Nachrufe-Schreiberin.

So stehen dann, wie im gestrigen Samstag in der „New York Times“, die Würdigungen des kubanischen Dissidenten Eloy Gutiérrez-Menoyo und der 94-jährigen Profi-Tennisspielerin Margaret Osborne duPont neben jenem Text über den Historiker Jaques Barzun. (Ähnlich verfährt die „New York Times“ auch mit „Weddings“: In der Wochenendausgabe werden ausführliche Porträts über frisch verlobte oder verheiratete Pärchen aus der amerikanischen Oberschicht veröffentlicht).


Toter Nachrufer. Einen peinlichen Fehler musste die „New York Times“ im Vorjahr eingestehen: So wurde ein Nachruf auf die Schauspielerin Elizabeth Taylor abgedruckt – allerdings war der Autor der Zeilen bereits seit sechs Jahren tot. Die „Times“ entschuldigte sich, versicherte aber, dass die Aktualisierung des Textes jemand anderer vorgenommen hatte. Der Begriff „Zombituary“ machte dennoch die Runde. awa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2012)

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