Der Chefredakteur des griechischen Magazins "Hot Doc" wurde wegen „Verstoßes gegen die Persönlichkeitsrechte“ verhaftet, nachdem er eine Liste mit mutmaßlichen Steuerflüchtlingen veröffentlicht hatte.
Wien/Athen/aga/c.g. Die Liste ist hochbrisant. Unter den 2059 genannten Steuerflüchtlingen sind der Berater des griechischen Premierministers Antonis Samaras, Stavros Papastavros, die Frau des ehemaligen Kulturministers Georgios Voulgarakis und der bereits verstorbene Giannis Boutos, früherer Abgeordneter der regierenden Nea Dimokratia (ND) und Nationalbank-Chef. Beamte des griechischen Finanzministeriums finden sich darauf ebenso wie wohlhabende „Normalbürger“: Ärzte und Anwälte, aber auch Hausfrauen, Pensionisten und Studenten. Sie alle sollen Konten bei der Großbank HSBC in Genf haben, wie das griechische Magazin „Hot Doc“ am Wochenende enthüllte. Unklar ist, wie viel Geld insgesamt auf die betreffenden Konten überwiesen wurde – doch mehrere Einzelpersonen sollen Summen bis zu 500 Millionen Euro in der Schweiz deponiert haben.
Gegen die mutmaßlichen Steuersünder haben die griechischen Behörden bisher nichts unternommen. Dafür wurde der Chefredakteur von Hot Doc, Costas Vaxevanis, nach der Veröffentlichung der Liste am Wochenende verhaftet. Wegen „Verstoßes gegen die Persönlichkeitsrechte“, erklärte ein Polizeisprecher. Es gebe keinerlei Beweise, dass sich die Genannten tatsächlich der Steuerflucht schuldig gemacht hätten. Gestern, Montag, musste Vaxevanis erstmals vor dem Gericht in Athen erscheinen, das ihm Datenschutzverstöße vorwirft. Nun drohen dem 46-Jährigen bis zu drei Jahre Haft.
„Habe nur die Wahrheit enthüllt“
„Ich habe nur das getan, wozu ein Journalist verpflichtet ist. Ich habe die Wahrheit enthüllt, die sie verborgen haben“, rechtfertigte er sich in einer Videobotschaft. „Die Steuerfahnder haben noch nichts unternommen, weil sie wohl Angst haben. Sie haben die Namen auf der Liste gesehen und realisiert, dass es sich um viele wichtige Personen handelt. Deshalb entschieden sie, nichts zu tun, bevor sie nicht klare politische Weisungen erhalten“, vermutet er.
Die Veröffentlichung der Liste ist gerade in einer Zeit explosiv, da die griechische Regierung auf Druck der internationalen Geldgeber ein weiteres, 13,5 Milliarden Euro schweres Sparpaket schnüren muss, das harte Einschnitte für Arbeitnehmer und Pensionisten bedeutet. Jährlich entgehen dem Staat 28 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung.
Vaxevanis will die Liste der mutmaßlichen Steuersünder von einem unbekannten Informanten auf einem USB-Stick zugespielt bekommen haben. Ihren Ursprung hat sie im Jahr 2007, als ein HSBC-Mitarbeiter die Daten entwendete und damit nach Frankreich floh. Im Herbst 2010 gab die damalige französische Finanzministerin und heutige IWF-Chefin Christine Lagarde die Liste an ihren griechischen Amtskollegen Giorgos Papakonstantinou weiter. Anscheinend blieb sie über zwei Jahre ungenutzt. Papakonstantinou behauptet, er ließ das „Profil“ der wichtigsten Kontoinhaber erstellen, sein damaliger Chef-Steuerfahnder widerspricht dem. Papakonstantinou reichte die Liste im Sommer 2011 an seinen Nachfolger, Evangelos Venizelos, weiter. Der ließ den USB-Stick in seiner Schublade verschwinden.
Erst Anfang Oktober 2012, als die Existenz der „Lagarde-Liste“ durchgesickert war, „fand“ er sie wieder und übergab sie dem jetzigen Finanzminister Giannis Stournaras. Eine Verwertung der Daten sei für ihn nicht in Frage gekommen, erklärte Venizelos, das wäre „illegal“ gewesen. Im Transparenz-Ausschuss des Parlaments involvierte Papakonstantinou nun Ex-Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou. Dieser sei informiert gewesen und habe Anweisung zu ihrer Nutzung gegeben. Stournaras zweifelt indes an der Vollständigkeit der Liste: Er forderte die Daten neuerlich aus Frankreich an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2012)