ORF: Gangsta-Rapper als Comeback-Kid

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Nur elf Tage nach der Absetzung von Sido als Juror der ORF-Talenteshow „Die Großen Chance“ hat Fernsehdirektorin Kathrin Zechner ihn zurückgeholt. Der Rapper bekomme eine „große und letzte Chance“.

„Mit sofortiger Wirkung“ beendete ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner am 20. 10. die Zusammenarbeit mit Paul Würdig vulgo Sido: „Gewalt ist indiskutabel“, erklärte sie. Sido hatte vor laufenden Kameras den „Chili“-Moderator Dominic Heinzl niedergeschlagen.

Elf Tage später hat Zechner nun diese Entscheidung widerrufen: Sido bekomme eine „große und letzte Chance“. Er wird schon am Freitag in der ORF-Talenteshow „Die große Chance“ wieder in der Jury sitzen. Das Nein zu Gewalt stehe, erklärte Zechner, aber: „Genauso unumstößlich ist mein Glaube an Aussöhnung.“ Die Wiedereinstellung Sidos sei „keine Rücknahme der Entscheidung, die direkt nach der Prügelattacke getroffen wurde. Der Stopp war nötig, weil auf beiden Seiten überzogen reagiert wurde.“

Zechner schließt sich mit dieser Sichtweise jener von ORF-Finanzchef Richard Grasl an, der gefordert hatte, diese „Privatfehde“ müsse „für beide Beteiligten Konsequenzen haben“. Tatsächlich hatten angebliche Zeugen erzählt, Heinzl habe mit Spucken oder Treten die Tätlichkeiten begonnen, das blieb aber unbewiesen, Sido selbst hat dergleichen nicht behauptet. Allerdings hat er Heinzl vorgeworfen, dieser sei nicht sofort nach dem Schlag umgefallen.

Sido-Song: „Vergib mir meine Sünden“

Sido, der seinen Hinauswurf mit dem Tweet „good bye orf1 !!!!“ kommentiert hatte, twitterte nun: „hallo orf1 !!!“ Das klingt nicht wirklich reuig, zumindest offiziell hat er sich auch nur bei Heinzls toter Mutter, die er eine Hure genannt hatte, entschuldigt. Dabei ist Reue und Umkehr ein häufiger Topos im Hip-Hop, vor allem im Gangsta-Rap. Sido selbst wandte sich in „Testament“ (2006, auf seinem zweiten Album „Ich“) gleich an die höchste Autorität: „Bevor ich geh, bitte Gott, vergib mir meine Sünden.“ In „Schlechtes Vorbild“, ebenfalls auf „Ich“, hieß es: „Mein Körper ist eine Ruine, denn ich nehm zu viele Drogen, immer wenn ich high bin, mutiere ich zum Philosophen.“ Und, einen alten Spruch der Achtundsechziger-Generation leicht abwandelnd: „Ich bin all das, wovor deine Eltern dich immer gewarnt haben.“

Eher väterlich gab sich Sido – der seinen Namen selbst als Abkürzung für „superintelligentes Drogenopfer“ interpretiert – in der ORF-Serie „Block Stars“ ab Dezember 2011. Dort trat er als strenger, aber gütiger Pate auf, der selbst aus einer harten Gegend (einem Plattenbau in der Berliner Trabantenstadt Märkisches Viertel) kommt und nun anderen Benachteiligten helfen will, mit Disziplin und Hip-Hop ihrem Elend zu entkommen. Originalton Sido: „Wenn nicht ich, wer soll dir helfen?“ Dieses Reality-TV endete mit Vorwürfen von Beteiligten, Sido habe sich nicht ernsthaft um sie gekümmert.

Die Attacke auf Heinzl war nicht die erste Aufregung im ORF über Sido: Im September 2011 stritt er bei der „Großen Chance“ mit dem „Krone“-Kolumnisten Michael Jeannée. Dieser sagte: „Der Sido, der gehört vernichtet.“ Sido nannte Jeannée einen „Hausmeister“; daraufhin erschien in der „Krone“ ein abfälliger Artikel über Sido, dieser klagte auf üble Nachrede, das Landesgericht Wien gab ihm recht, er bekam 7000 Euro zugesprochen. Und im November 2011 sagte Sido bei einer Gala in Wien: „Ihr Österreicher habt uns da mal einen rübergeschickt, der uns Ordnung beigebracht hat!“ Das wurde allgemein als Anspielung auf Hitler interpretiert, etliche ORF-Moderatoren reagierten empört. Wolfgang Lorenz, damals ORF-Programmdirektor, erklärte, der Satz sei „ausschließlich ironisch gemeint“ gewesen.

Im ORF wartet man gespannt, wie sich die Rückkehr Sidos zur „Großen Chance“ auf die Quote auswirken wird. Die letzte Sendung mit Sido hatte 722.000 Zuseher, die Ausgabe ohne ihn – dafür mit Schauspieler Rudi Roubinek als kaiserlicher Obersthofmeister Seyffenstein – 710.000. Im ORF fürchten freilich einige, dass die Rückholung Sidos als inkonsequent und/oder Alleingang Zechners gesehen wird. ORF-Sprecher Martin Biedermann sagt offiziell nur: „Sido ist sicher ein Gewinn für die Show. Er hat sehr viele Fans.“

Zu diesen gehören Politiker zweier Parlamentsparteien definitiv nicht: FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky diagnostiziert einen „Tiefpunkt der Peinlichkeiten“, BZÖ- Mediensprecher Stefan Petzner gar von einem „Faustschlag ins Gesicht der Gebührenzahler, die jene 100.000 Euro“ – so steht es in Petzners Aussendung – „finanzieren, die der kiffende und prügelnde Piefke-Rapper Sido pro Sendung kassiert“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2012)

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Kommentare

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„Chili“ war schon lange fällig. Aber es ist niederträchtig, die Attacke auf Heinzl als Begründung zu verwenden.
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