Chinas KP droht ein holpriger Ritt durchs nächste Jahrzehnt

Die Kommunistische Partei mit ihren veralteten stalinistischen Strukturen ist der jungen, dynamischen Gesellschaft nicht mehr gewachsen.

Wer den Tiger reitet, kann schwer absteigen“, heißt ein chinesisches Sprichwort. Die alte Weisheit könnte als Maxime für Chinas neue KP-Führung dienen. Denn auch wenn Xi Jinping, der Partei- und Staatschef in spe, sich etwas volksnäher gibt als sein Vorgänger, auch wenn im mächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros tatsächlich einige Reformer aufsteigen sollten – oberste Priorität bleibt „Machterhalt“. Oder, um beim Sprichwort zu bleiben: den Tiger so fest es geht bei den Ohren zu packen, um zu vermeiden, dass er sich umdreht und beißt.

Dieses System der „harten Hand“ hat mehr als ein halbes Jahrhundert funktioniert. Die Partei hat Hungersnöte ebenso überlebt wie das blutige Chaos der Kulturrevolution. Den prodemokratischen Protest am Tien'anmen-Platz hat die KP brutal zum Schweigen gebracht. Durch eine Kombination von Dirigismus und Marktöffnung haben die Kommunisten China in eine wirtschaftliche Weltmacht verwandelt. Hunderte Millionen Menschen wurden aus der Armut gehoben, eine urbane Mittelschicht entstand, die Repression und Meinungsdiktat im Gegenzug für Wohlstand in Kauf nahm.

Die KP hat Chinas Wirtschaft und diese wiederum die Gesellschaft auf den Kopf gestellt – sich selbst hat die Partei aber kaum verändert. Trotz jüngerer Gesichter haben die Kommunisten ihre hermetisch verschlossene, stalinistische Struktur aus den späten 1970er-Jahren beibehalten. Die Partei bleibt eine autoritäre Organisation von Funktionären und Kadern, in der man dank politischer Seilschaften, klugen Taktierens oder des Familiennamens Karriere macht.

Dass derzeit hinter den Kulissen ein Machtkampf zwischen Reformern und Linkskonservativen schwelt, trägt zur Starrheit bei: Die neuen Führer werden viel Energie darauf verwenden müssen, die bestehenden Risse zu kitten. Zu erwarten ist daher nicht eine mutige Öffnung, sondern eher eine konsensorientierte Politik.

Aber kann mit dieser Einstellung die Partei – um beim obigen Sprichwort zu bleiben – den „Tiger“ zähmen? Da ist die Wirtschaft: Das exportorientierte Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gelangt. Peking müsste es schaffen, die Binnennachfrage anzukurbeln. Voraussetzung wäre, dass die Partei eine wirklich freie Marktwirtschaft zulässt: dass sie etwa ihre Unterstützung für staatliche Betriebe reduziert und die Basis für einen innovativen Privatsektor schafft. Oder die Entwicklung eines privaten Bankensystems ermöglicht, damit Polit-Kontakte kein Kriterium mehr für Kreditvergaben sind. Nur: KP-Kader, die sich am System bereichern, werden zur Abgabe ihrer Macht ungern bereit sein.

Doch am wildesten reitet wohl der Tiger mit dem jungen Gesicht: Die KP muss in den nächsten Jahren die inzwischen erwachsen gewordene erste Einzelkindergeneration und ihre Nachfahren erobern. Ohne Not aufgewachsen, ist diese junge, urbane Mittelschicht fordernder, als es ihre genügsamen Eltern waren. Materielle Sicherheit und Konsumfreiheit sind für sie Selbstverständlichkeiten – sie pochen vielmehr auf eine höhere Lebensqualität wie eine saubere Umwelt oder sichere Nahrungsmittel. Im Gegensatz zu ihren Eltern sind sie der Partei nicht dankbar für ihren Wohlstand. Sie wissen, dass es nicht die Kommunisten sind, die Reichtum erzeugen – sondern sie selbst mit ihren Ideen. Diese Jugendlichen haben das Vertrauen in die KP verloren: Zynisch werden im Internet Berichte über korrupte, superreiche Spitzenpolitiker und ihre Familien kommentiert und weitergeleitet. Dank des World Wide Web – das Pekings Zensoren nicht unter Kontrolle haben – sind sie informierter als vorherige Generationen.

Peking versucht, mit Patriotismus zu punkten: mit einer aggressiveren Außenpolitik oder antijapanischen Ressentiments. Bisher hat die nationalistische Karte gut funktioniert, um von internen Problemen abzulenken. Zudem gibt es keine ernst zu nehmende Opposition, die die KP bedroht. Fraglich ist aber, ob die Partei mit ihren veralteten Strukturen der dynamischen Gesellschaft – zu deren Entwicklung sie beigetragen hat – gewachsen bleibt. Den Kommunisten steht im nächsten Jahrzehnt ein sehr holpriger Ritt auf dem Tiger bevor.

E-Mails an: susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2012)

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