Peking muss innovative Branchen fördern, will es konkurrenzfähig bleiben.
Peking. Es waren ungewohnt gute Nachrichten, die am Donnerstag aus China kamen: Für eine gute halbe Milliarde Euro kaufte der chinesische Staatsfonds CIC ein ansehnliches Stück des größten Flughafens Europas. Zehn Prozent von London Heathrow gehören nun Peking. Ebenso Teile der Londoner Wasserwerke und des französischen Energieriesen GDF Suez. Zudem deuten jüngste Umfragen darauf hin, dass auch die Industrieproduktion im Land im Oktober wieder angezogen ist.
Doch diese Meldungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Chinas goldene Zeiten seit einiger Zeit vorüber sind. Europas Krise hinterlässt auch im Reich der Mitte Spuren. Exporte sind eingebrochen, ausländische Direktinvestitionen zurückgegangen. Zugleich kommt Chinas Binnenmarkt nicht in Schwung. Um nur 7,4 Prozent wuchs die Wirtschaft im dritten Quartal – so schwach wie seit drei Jahren nicht.
Am Grundproblem ändert auch die neu aufflackernde Konjunkturhoffnung wenig: Mit dem bisherigen Wachstumsmodell stößt China an seine Grenzen. Ökonomen befürchten, eine zu stark auf Export getriebene Industrie und ein schwacher Binnenkonsum könnten dazu führen, dass China auf einem bestimmten Entwicklungsstadium verharrt. Volkswirte sprechen von der „Falle des mittleren Einkommens“. Der Aufstieg vom armen Land zur Wirtschaft mittleren Einkommens sei einfach: Dazu bedarf es Stabilität und billiger Arbeitskräfte, die wenig anspruchsvolle Produkte herstellen. Hat ein Land ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreicht – durch gestiegene Löhne, eine alternde Bevölkerung oder gesättigte Märkte – braucht es neue Ideen, um mit Produkten der Industrieländer konkurrieren können. Dieser Schritt ist schwieriger.
„Politische Reformen notwendig“
US-Ökonom Barry Eichengreen sieht China in einer solchen Falle. Um aus ihr herauszukommen, bedürfe es verstärkter Investitionen in Bildung und Forschung sowie der Ansiedlung von Technologien für hochwertige Jobs. Dazu gehören mehr Rechtssicherheit sowie Bekämpfung von Korruption und Umweltzerstörung. Davon sei China weit entfernt. Die bisherige Führung erkannte das Problem. Premier Wen Jiabao forderte wiederholt: weg vom exportgetriebenen Wachstum hin zur Stärkung der Binnenwirtschaft mit mehr sozialer und ökologischer Ausgewogenheit. Tatsächlich stiegen die Löhne kräftig. „Das allein reicht nicht“, kritisiert Ökonom Yuan Guangming. „Wir brauchen Reformen, die auch das politische System umfassen.“
Entscheidender ist die Tagung des Nationalen Volkskongresses, bei der alle fünf Jahre die Fünfjahrespläne verabschiedet werden. Monatelang sammelt die Planbehörde Daten und entwickelt Eckpfeiler für die nächsten Jahre. Im aktuellen Plan steht, welche Branchen gefördert werden. Sie gibt Ziele für Arbeitsmarktdaten, Patentanmeldungen, den CO2-Ausstoß, Zunahme und Verteilung des Wohlstands vor. Bei Fragen nach Rechtssicherheit bleibt sie unkonkret. Der nächste Plan kommt in zwei Jahren, bis dahin wird die neue Führung nicht vom Kurs abweichen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2012)