Wie „Daisy Girl“ Wahlkämpfe in den USA für immer veränderte

Daisy Girl
Daisy Girl(c) AP
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Trotz Twitter und Facebook: Noch immer fließen vor der Präsidentenwahl Unsummen in Fernsehwerbung. Heuer dominierte „negative campaigning“. Die Wahrheit bleibt dabei mitunter auf der Strecke.

Wien. Da steht das süße Mädchen in idyllischer Umgebung und zupft die Blüten einer Gänseblume: „One, two, three.“ Ein paar Mal verzählt sie sich, wie das Kleinkindern eben passiert. Plötzlich friert das Bild ein. Eine bedrohliche Stimme zählt jetzt den Countdown. Es gibt eine Explosion, ein Atompilz wälzt sich gen Himmel. Und eine zweite Stimme ist zu hören: „Wir müssen einander entweder lieben, oder wir müssen sterben.“

Die zweite Stimme gehört Lyndon B. Johnson. Eine weitere Amtszeit hat der Kennedy-Nachfolger im Moment der Ausstrahlung des TV-Spots in der Tasche – und das Wahlkämpfen in den USA für immer verändert. "Daisy Girl" (Gänseblümchen-Mädchen) geht nur einmal – am 7. September 1964 auf NBC – gegen Entgelt "on air". Mehr ist auch nicht nötig. Die berüchtigste TV-Werbung in der Geschichte der US-Wahlkämpfe läuft in den Nachrichtensendungen auf und ab. Denn Amerika diskutiert über den Angst schürenden Spot: Ja dürfen die das?

Ein Blick auf den Hintergrund hilft bei der Antwort: 1964 steckt Amerika tief im Kalten Krieg. Und Johnsons republikanischer Herausforderer Barry Goldwater schwadroniert vom Einsatz atomarer Waffen gegen den kommunistischen Feind in Vietnam. Goldwaters Name fällt in dem Spot übrigens kein einziges Mal. Die Botschaft kommt auch so an: Wenn ihr den Kerl wählt, dann haben wir den Atomkrieg – und „Daisy Girl“ ist tot.

Trotz Facebook und Twitter: 48 Jahre nach „Daisy Girl‘s“ Auftritt in den US-Wohnzimmern wird die amerikanische Seele noch immer gerne durch die Bildschirmröhre (ergo Plasmascheibe) angesteuert. Das zeigen die nackten Zahlen: Wie die „Washington Post“ ermittelte, haben die Lager von Amtsinhaber Barack Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney bisher über 730 Millionen Dollar in TV-Wahlwerbung in den „swing states“ gepumpt. Und noch immer muss der Nachwuchs als unfreiwilliger Wahlhelfer herhalten.

In einem Romney-Spot - von der Aufmachung her eher eine Windelwerbung - hält eine Mutter ihr Baby hoch und erklärt ihm unumwunden: „Liebe Tochter, willkommen in Amerika, dein Anteil an Obamas Schulden ist mehr als 50.000 Dollar.“ Baby-Spots sollen auch helfen, Romneys Problem mit dem weiblichen Wahlvolk zu beseitigen.

Einer, den sie noch heute in Romneys Grand Old Party anhimmeln, konnte nicht nur mit den Frauen, er war auch als Wahlkämpfer eine Klasse für sich. 1984 liefert Ronald Reagan mit 20 Jahren Verspätung eine subtile Antwort auf „Daisy Girl“: Reagans Team ließ einen furchterregenden Grizzlybären als Sinnbild für die Sowjetunion durch die Wälder ziehen, unterlegt mit einem Herzschlag und den Zeilen: „Für einige ist der Bär leicht zu sehen, andere sehen in gar nicht. (...) Da niemand sicher sein kann: Ist es nicht schlau so stark zu sein wie der Bär … falls da ein Bär ist?“ Trotz aller Symbolik, die Botschaft ist klar: Wer Schwäche zeigt wird im Kalten Krieg (vielleicht) gefressen. Deshalb lieber Reagan wählen und die Streitkräfte weiter aufrüsten.

Der Amerikaner braucht eine dicke Portion Pathos. Was am Alten Kontinent als Kitsch verworfen würde, ist jenseits des Atlantiks nur allzu willkommen. Reagans Meisterwerk firmiert dabei unter dem Titel „Morning in America“. In dem Kurzfilm wird geheiratet, Flaggen werden gehisst, zufriedene Daddys fahren zur Arbeit. Die Farben sind weich, die Musik euphorisch. „Feel good“-Stimmung eben. Und natürlich treten auch Kinder auf. Aus Sicht des Sozialforschers Christoph Hofinger ist der Spot ein Meisterwerk und Husarenstück zugleich: „Denn Euphorie ist schwerer zu erzeugen als Angst“.

Charaktermord

Obama sollte sich an einer Neuauflage von "Morning in America" dann eher nicht versuchen. Reagans Team drehte den Spot 1984 angesichts einer widererstarkten US-Wirtschaft. Hofinger: „1983 hätten sie Reagan für den Spot noch ausgelacht, doch dann gab es einen Zwischenboom." Heute hat das Weiße Haus mit Arbeitslosenraten um die 8 Prozent zu kämpfen. Ein "Feel good"-Wahlkampf passt da nicht. Das wissen auch Obama und seine Interessengruppen. 85 Prozent der Pro-Obama-Spots sind negativ, schreibt die „Washington Post“. Rom

Die Wahrheit bleibt dabei mitunter auf der Strecke. Doch früher war es „noch unverfrorener“, konstatiert Hofinger. 2004 etwa, als angebliche Ex-Vietnam-Kameraden den Demokraten John Kerry in einer Reihe von TV-Spots als arroganten Vaterlandsverräter diffamierten. Für Hofinger einer „der perfidesten und effektivsten Negativkampagnen aller Zeiten“. Kerrys Glaubwürdigkeit war für viele dahin, die Amerikaner nennen das „character assassination“.

Ehrlicher, wenn auch nicht gerade sympathisch kommt da schon ein TV-Spot aus dem Jahr 1968 daher: Zu sehen ist eine alter Flimmerkasten mit der Einblendung „Agnew for vice president?“ Zu hören ist ein verächtlicher, 19-sekündiger Lachanfall, der gegen Ende des Spots in einen Hustenanfall umschlägt. Dann die Einblendung: „Es wäre lustig, wenn es nicht so ernst wäre.“ Der Republikaner Richard Nixon wurde schließlich Präsident und der unerfahrene, (ausgelachte) Spiro Agnew Vize. Den Demokraten verging das Lachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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