Der Sturm, der alles veränderte, oder: Sandy und der nächste Präsident

Der Hurrikan, der die Ostküste der USA in Ausnahmezustand versetzte, hat alle Prognosen für die Wahl am Dienstag zunichtegemacht. Jetzt darf neu spekuliert werden. Zufallstreffer sind möglich.

Vom Fenster im 6. Stock eines Hotels in Philadelphia war Anfang dieser Woche nur waagrechter Regen, aber kaum das Gebäude auf der anderen Straßenseite zu sehen. Hurrikan Sandy war im Anzug.

Ob er nun einer der schlimmsten Stürme in der Geschichte der USA war, wie Medien behaupteten, oder nicht: Wenn der Blick vom Fenster zum Fernseher wanderte, war klar, dass Sandy jedenfalls alle Prognosen über den Ausgang der Präsidentschaftswahl am Dienstag auf den Müllhaufen der Geschichte geweht hat.

Sandy wird als sogenannter „game changer“, also als der Vorfall in die Geschichte eingehen, der den Lauf der folgenden Ereignisse „total verändert“ haben wird. Damit ist nicht gemeint, dass Sandy die Wahlkampfplanung Barack Obamas und seines Herausforderers Mitt Romney völlig über den Haufen geworfen und beide zur Absage wichtiger Auftritte in heiß umkämpften Staaten wie Virginia gezwungen hat. Das ist noch die unbedeutendste Konsequenz dieses Ausnahmezustands.

Fakt ist, die Führungsstärke oder -schwäche Barack Obamas in dieser Katastrophe, sein Mitgefühl mit den Millionen Betroffenen können seine Wiederwahl retten oder kosten. Er war sich Anfang der Woche dessen auch bewusst, als er am Montag bei einem Auftritt im Weißen Haus sagte: Er denke jetzt überhaupt nicht an die Wahl, diese werde sich nächste Woche von selbst erledigen. Er denke an die Menschen, das Land und die Wirtschaft.

Solch starke Worte waren aber sehr wohl für den Wahlkampf unverzichtbar, allein schon als Kontrast zur Gleichgültigkeit für – und der lange verzögerten Reaktion auf – Hurrikan Katrina 2005 durch George W. Bush und die Regierung der Republikaner.

Sandy kann sich also für Obama als Wahlgeschenk herausstellen. Erstens, weil ihm der Ausnahmezustand eine Medienpräsenz sichert, mit der Romney einfach nicht mithalten kann. Zweitens, weil die tagelangen Stromausfälle für Millionen die geplante TV-Werbungsoffensive Romneys in letzter Minute zunichtemachen. Drittens, weil die Wirtschaft zwar das Topthema bleibt, aber anders als die Republikaner das wollen. Alle Staaten an der Ostküste hatten diese Woche andere Sorgen. Viertens, weil plötzlich die Medien unaufhörlich über den Klimawandel diskutieren, für den Obama mehr Sensitivität signalisiert als sein Gegner.

Romney kann trotz einiger Publicity-Fehler diese Woche aber auch von der Naturkatastrophe profitieren. Es könnte Obama nämlich schaden, dass der Hurrikan, die Überschwemmungen und die Stromausfälle viele Wähler davon abhalten, vorzeitig ihre Stimme abzugeben, wovon traditionell die Demokraten profitieren.

Außerdem – und das ist ein besonders zynisches Faktum – sind von den Überflutungen vor allem die niedrig gelegenen Landstriche betroffen, in denen aber mehrheitlich die ärmeren Schichten, also Obamas Sympathisanten, zu Hause sind. Diese werden angesichts der verheerenden Situation nach dem Sturm kaum zum Urnengang motiviert werden können. Wissen kann man das alles natürlich nicht.

Allein, es bleibt spannend: dass eine Naturkatastrophe durchgestylte politische Kampagnen, auf die Milliarden Dollar verwendet werden, in wenigen Tagen einfach wirkungslos macht. Denn nach der Entscheidung wird es auf jeden Fall heißen: Sieg oder Niederlage wegen Sandy.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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