Die geteilten Staaten von Amerika

(c) AP (Charlie Neibergall)
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Präsidentenwahl. Barack Obama trat als Versöhner an. Doch das Land ist polarisiert wie am Zenit des Vietnamkriegs oder der Wahl-Hängepartie 2000.

Washington. Energiegeladen sprang Barack Obama aus der Präsidentenmaschine „Air Force One“ und trabte in der grauen Bomberjacke mit dem Signet des Oberbefehlshabers zur Kundgebung aufs Asphaltfeld des Flughafens in Green Bay in Wisconsin, wie um verlorene Zeit wettzumachen. „In Krisenzeiten sehen wir das Beste in Amerika“, rief er, wie einst George W. Bush auf den Trümmern der New Yorker Twin Towers nach dem 9/11-Terror. „Der Sturm kennt keine Demokraten und keine Republikaner, nur Amerikaner.“ Im Katastrophengebiet von New Jersey hatte er zuvor einen Auftritt mit dem republikanischen Gouverneur Chris Christie absolviert.

Es klang wie ein Echo seiner Parteitagsrede 2004 in Boston, die den angehenden Senator aus Illinois auf die nationale Bühne katapultiert hatte. „Es gibt kein liberales und konservatives Amerika, kein schwarzes und weißes, keines der Latinos und der Asiaten. Es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Im Wahlkampf-Finish kehrt der Präsident wieder zur Rolle des Aussöhners zurück, als der er vor vier Jahren angetreten ist. Seine anfänglichen Versprechen, die Hand zum republikanischen Lager auszustrecken, gingen nicht über Kosmetik und Superbowl-Party hinaus – vor allem auch deswegen, weil sich die Republikaner vom ersten Tag an zur Fundamentalopposition entschlossen hatten. Senatsfraktionsführer Mitch McConnell postulierte: „Unsere Priorität ist, die Wiederwahl Obamas zu verhindern.“ Seine Partei votierte gegen jedes Gesetz – gegen das Konjunkturprogramm, die Nothilfe für die Autoindustrie und schließlich gegen „Obamacare“, die verhasste Gesundheitsreform.

In der Debatte um die Gesundheitsreform und zuletzt bei der Diskussion um die Staatsschulden prallten die ideologischen Lager mit voller Wucht aufeinander: hier die Demokraten, die die Fürsorgefunktion des Staates betonen; dort die Republikaner, die – getrieben von der Tea Party – zu viel Staat und Bürokratie als „Sozialismus à la Europa“ anprangern. Die Gräben vertiefen sich in der Abtreibungsfrage und bei sozialen Themen. Nur als Attentatsopfer Gabby Giffords im Vorjahr zu einem kurzen symbolischen Besuch in den Kongress zurückkehrte, gab es parteiübergreifende Ovationen.

Keine Antwort auf Obama-Anruf

Obama gab seine zaghaften Kompromissversuche ganz auf. Sein Widerpart John Boehner, Chef des Repräsentantenhauses, hat in der Schuldenkrise nicht einmal mehr Anrufe aus dem Weißen Haus beantwortet und damit den Präsidenten brüskiert. Mitt Romneys Zitat von den 47 Prozent Sozialhilfeempfängern, die er quasi abschreiben müsse, ließ tief blicken.

Die Polarisierung, so stark wie am Zenit des Vietnamkriegs, der Watergate-Affäre, der Lewinsky-Affäre Bill Clintons und der Wahl-Hängepartie von 2000, spiegelt sich in der Propaganda der Kabelsender Fox News und MSNBC wider. Durch die USA geht ein Riss. Die Vereinigten Staaten sind geteilt, in zwei Parallelwelten, eine republikanische und eine demokratische.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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