Das Rhinozeros in der Wohnung über mir

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In der Wohnung über mir wohnt ein Rhinozeros. Nein, gesehen habe ich es noch nie. Aber sehr deutlich gehört.

In der Wohnung über mir wohnt ein Rhinozeros. Nein, gesehen habe ich es noch nie. Aber sehr deutlich gehört. Und gespürt. Nur ein Tier dieser Größe kann diese stampfenden Geräusche machen, wenn es von einer in die andere Ecke läuft. Nur ein derart starkes Geschöpf ist dazu fähig – meist mitten in der Nacht –, die gesamte Möblage mit großem Getöse über den Parkettboden rumpeln zu lassen. Und nur ein Lebewesen mit einem solch hohen Gewicht kann es schaffen, dass die Gläser auf der Anrichte zittern, als würde die Richter-Skala austesten, wie weit nach oben sie denn nun wirklich offen ist.

Was das Rhinozeros in der Wohnung über mir von seinen Artgenossen in freier Wildbahn abhebt, ist seine Vorliebe für Tanzmusik. Immer wieder überrascht es mit wummerndem Bass, der durch die Altbauwände nur ein wenig in seiner Intensität behindert wird. Auf der anderen Seite beweist das Tier aber auch echte musikalische Ambitionen – zuletzt dürfte es sogar das Gitarrespielen zu erlernen versucht haben. Sein aktuelles Lieblingslied ist „Somebody that I used to know“ von Gotye, dessen eingehendes Riff es mit großer Leidenschaft zu Tages- und Nachtzeiten übt – hätte gar nicht gedacht, dass ein Rhinozeros derart fingerfertig sein kann. Dazu versucht es übrigens auch noch, den Text in der Stimmlage des Originals zu trällern. Auch hier sehr überraschend, wie sehr das stimmliche Spektrum von Mensch und Rhinozeros einander ähneln.

Wie das Verdauungsverhalten eines Rhinozerosses aussieht, weiß ich leider nicht. Aber offensichtlich dürfte das Exemplar in der Wohnung über mir stubenrein sein. Zumindest hört man es immer wieder die Spülung der Toilette betätigen. Immerhin etwas.

Vielleicht sollte ich ja einfach mal auf einen Sprung hinaufschauen. Mit einem Kuchen und einer Flasche Sekt, um auf gute Nachbarschaft anzustoßen. Wobei, trinken Rhinozerosse eigentlich Alkohol?

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2012)

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