Für den Hisbollah-Experten Matthew Levitt bedeutet ein Sturz des syrischen Assad-Regimes nicht automatisch eine Schwächung der Schiiten-Miliz im Libanon.
Wien/Hd. Wenn von einem israelischen Schlag gegen Irans Atomanlagen die Rede ist, taucht in der Gleichung eine nicht zu wegzukürzende Variable auf: die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah. Sie ist ein Handlanger des Iran, hat seit dem Krieg gegen Israel 2006 ihre Waffenarsenale längst wieder gefüllt – und könnte Vergeltungsschläge gegen Israel führen.
Derzeit aber hat sie einen anderen „Job“: Sie hilft Syriens Diktator, Bashar al-Assad, beim Kampf gegen sein eigenes Volk, ein Teil der Kräfte ist gebunden. Im Westen setzt man darauf, dass nach einem Sturz Assads die Hisbollah massiv geschwächt wäre. Matthew Levitt, Hisbollah-Kenner vom Washington Institute for Near East Policy, hält das für Wunschdenken: Freilich sei es ein Szenario, dass die Hisbollah Nachschub und Trainingsmöglichkeiten verlöre und nicht länger Zugriff auf syrische Geheimdienstinformationen hätte: „Es wäre aber möglich, dass sogar ein sunnitisches Regime in Damaskus weiter iranische Lieferungen an die Hisbollah erlaubt“, sagt der Experte, der auf Einladung des Bündnisses „Stop the Bomb“ in Wien war, zur „Presse“. Denn die Region werde stark von taktischen Erwägungen nach den Mottos „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, „Ich und mein Bruder gegen meinen Cousin“ bzw. „Ich und mein Cousin gegen meinen Nachbarn“ geleitet. Der Feind/Nachbar wäre Israel.
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Nicht mit IRA zu vergleichen
Doch die Hisbollah sei nicht nur eine regionale Bedrohung, die den Libanon in einen grenzübergreifenden religiösen Konflikt hineinziehen könnte, meint Levitt, sondern auch ein Problem für Europa und den Westen, und das nicht nur wegen ihrer dortigen Geldwäsche-Aktivitäten: „Der Iran und die Hisbollah setzen zunehmend auf Terror-Operationen im Ausland.“ Als Beispiele könnten das laufende Verfahren gegen einen Hisbollah-Mann mit schwedischem Pass auf Zypern dienen oder der Anschlag im bulgarischen Burgas, der im Juli fünf israelische Touristen das Leben kostete und den Geheimdienste in Europa und den USA der Hisbollah zuschrieben.
Europa, so die Forderung des Wissenschaftlers, der als Experte für die zweite Regierung von George W. Bush arbeitete, müsse endlich die Hisbollah als Ganzes auf die schwarze Liste setzen, nicht nur einzelne Mitglieder, was ihr unnötigen Spielraum lasse. Den Europäern wirft er Blauäugigkeit im Umgang mit der Hisbollah vor: „Ich raufe mir immer die Haare, wenn die Leute Vergleiche mit der IRA ziehen. Aber die IRA glaubte nicht an die Herrschaft eines Rechtsgelehrten, der Gottes Stimme auf Erden ist, und an einen göttlichen Befehl, andere zu töten.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2012)