BBC: Krise zum 90. Geburtstag

Krise Geburtstag
Krise Geburtstag(c) AP (Alastair Grant)
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Erst wurde ein Bericht über den pädophilen BBC-Moderator Savile unterbunden, dann ein anderer ausgestrahlt, in dem ein Politiker fälschlich beschuldigt wurde. BBC-Senderchef Entwistle nahm den Hut.

London. Am Mittwoch feiert die BBC ihren 90. Geburtstag. Doch statt Feierlaune herrscht Krisenstimmung bei einer der renommiertesten journalistischen Institutionen der Welt. Am Wochenende musste Senderchef George Entwistle nach nur 54 Tagen im Amt seinen Hut nehmen: Konsequenz einer Serie von Pannen und Fehlentscheidungen.

„Auntie Beeb“, wie der weltweit größte Sender mit über 20.000 Mitarbeitern bislang liebe- und respektvoll genannt wurde, ist dabei, genau diesen Respekt zu verspielen. Zwar ist die Mehrheit der Briten nach einer kürzlich vom Sender selbst in Auftrag gegebenen Umfrage stolz auf die Institution, die im öffentlichen Leben ähnliches Ansehen genießt wie das Königshaus. Doch nach den jüngsten Skandalen sehen zwei Drittel der Befragten die BBC „nachhaltig beschädigt“, nur noch 45 Prozent halten den Sender für „vertrauenswürdig“. Britische Politiker warnen vor einer öffentlichen Vertrauenskrise bei dem Sender, der jährlich über drei Mrd. Pfund an Gebühren kassiert.

Die Quellenangabe „...nach einem Bericht der BBC“ hat bei Medienunternehmen weltweit als Gütesiegel für Glaubwürdigkeit gegolten – doch jetzt musste der öffentlich-rechtliche Sender einräumen, dass ein Bericht seines Nachrichtenmagazins „Newsnight“ vor zehn Tagen „völlig falsch“ war. Die BBC-Reporter hatten unter Berufung auf ein Opfer berichtet, ein hochrangiger konservativer Politiker und Thatcher-Freund habe in den 1970er- und 80er-Jahren einem Pädophilenring in Nordwales angehört und mehrere Buben missbraucht. Der vermeintliche „Täter“– er wurde nicht genannt, sein Name, Lord Alistair McAlpine, kursierte aber bald im Internet – wurde von der Redaktion vor Ausstrahlung nicht mit den Anschuldigungen konfrontiert. Schließlich meldete sich das mutmaßliche Opfer zu Wort: Er habe gerade ein Foto von McAlpine gesehen. Dies sei nicht der Mann, der ihn vergewaltigt habe. Der fälschlich bezichtigte Politiker, ein ehemaliger Tory-Schatzmeister, will nun wegen Rufmords klagen.

„Newsnight“ zog Bericht zurück

Der Chef des BBC-Trust, des obersten Aufsichtsgremiums, Lord Chris Patten, kündigte eine „gründliche, radikale, strukturelle Reform“ des Senders an: So könnte die Rolle des bislang fast allmächtigen „Director General“ geteilt werden. Außerdem müssten die einzelnen Redakteure mehr presserechtliche Verantwortung übernehmen.

Auch die Zukunft von „Newsnight“ ist ungewiss: Das TV-Nachrichtenmagazin, seit über 30 Jahren eine abendliche Institution mit vielen investigativen Berichten, sorgte für einen Skandal, weil es einen Bericht über die Missbrauchsvorwürfe gegen den inzwischen verstorbenen BBC-Moderator Jimmy Savile zurückgezogen hatte. Die nationale Ikone hatte über Jahrzehnte hunderte junger Mädchen missbraucht, der Sender Gerüchte nie verfolgt. Offenbar auch um diese Scharte auszuwetzen, strahlte „Newsnight“ am 2.November die falschen Anschuldigungen gegen Lord McAlpine aus.

Dass die BBC immer noch anders kann, bewies freilich einer ihrer Radiomoderatoren, John Humphrys, am Samstag im Interview mit seinem Chef. Konfrontiert mit dessen aggressiven Fragen konnte Entwistle nicht erklären, warum er, wie angeblich schon im Fall Savile, von nichts etwas gewusst – aber auch nicht gefragt hatte. Wohl auch deshalb ließ Premier Cameron gestern sein anhaltendes Vertrauen in die „nationale Institution“ erklären. Die Situation sei „schwierig“, aber die BBC in der Lage, sich selbst zu reformieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2012)

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